: Chlorgas entwichen 190 Verletzte in Alfeld
Schweres Giftgasunglück in niedersächsischer Kleinstadt ■ Von Jürgen Voges
Hannover (taz) - Über eine „Chlorgasvernichtungsanlage“ ist bei einem schweren Chemieunglück in der niedersächsischen Kleinstadt Alfeld giftiges Chlorgas ausgetreten, durch das mindestens 190 Menschen verletzt wurden. Bei dem Unfall war in der Alfelder Zellstofffabrik „Hannover Papier“ am Mittwoch gegen 14 Uhr beim Umfüllen von Chlorgas aus einem Eisenbahnwaggon in einem Lagertank ein Schlauch geplatzt.
Nach Angaben des Gewerbeaufsichtsamtes Hildesheim gelangten vermutlich mehrere Tonnen Chlorgas über einen Kamin einer Absauganlage aus dem geschlossenen Umfüllraum in die Umgebung. Die Absauganlage, so sagte gestern ein Sprecher des Gewerbeaufsichtsamtes, habe eigentlich die Aufgabe, Chlorgas zu neutralisieren. Sie arbeite allerdings in zwei Stufen. Kleinere Mengen Chlorgas, die immer beim Umfüllen austreten könnten, würden durch Einsprühen von Wasser neutralisiert. Bei einem Unfall müsse die Anlage jedoch auf das Einsprühen von Natronlauge umgestellt werden und sei dann in der Lage, auch hundertprozentiges Chlorgas zu neutralisieren. Dieses Umstellen ist allerdings nach den bisherigen Erkenntnissen des Gewerbeaufsichtsamtes frühestens eine Viertelstunde nach Platzen des Schlauches erfolgt. Bis dahin wurde das schwere Gift in die Umgebung gepumpt. Zu der Verzögerung kam es möglicherweise, weil sich die Arbeiter selbst in Sicherheit brachten und Schutzanzüge anlegten.
Von 190 Verletzten, die nach dem Giftgasunglück vor allem wegen Verätzungen der Atemwege die Krankenhäuser aufsuchen mußten, wurden gestern noch zehn schwer an der Lunge verletzte Personen stationär behandelt. Die Mehrzahl von ihnen leidet an Lungenödemen. Nach Angaben der Alfelder Polizei ist der Giftgasalarm am Mittwoch nicht von der Firma Hannover Papier, sondern von Alfelder Bürgern ausgelöst worden. Diese Bürger hätten ab 14.10 Uhr in zahlreichen Anrufen aus der Innenstadt über das ätzende Gas in der Luft berichtet. Nach Angaben der Firma selbst soll sich der Unfall jedoch erst gegen 14.18 Uhr ereignet haben. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat aufgrund des Unfalls inzwischen ein Ermittlungsverfahren „gegen Unbekannt“ wegen Körperverletzung in zahlreichen Fällen und wegen Luftverschmutzung eingeleitet.
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