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Wer schützt uns vor dem Schutzgesetz?

■ Dreitägiges Mammut-Hearing über die Bonner Gesetzesvorlage zur Gentechnik / Von Gerd Nowakowski

Das umstrittenste Gesetz dieser Legislaturperiode ist noch immer nicht vom Tisch: das Gentechnik-Schutzgesetz. Noch immer ist vor allem unklar, wer hier vor wem geschützt werden soll: die Gentechnik vor dem Bürger oder umgekehrt. Nach dem Reinfall im Bundesrat, wo selbst die CDU-Länder kein gutes Haar an dem Gesetzentwurf ließen, streiten jetzt beim großen Hearing in Bonn 64 Gutachter um das Gesetz.

„Das ist so, als wäre in der Straßenverkehrsordnung die Förderung der Automobilindustrie festgeschrieben“, empört sich Professor Jürgen Hahn, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsamt. Hahn ist Gutachter, und worüber er sich erregt, ist die Förderklausel im Gesetzentwurf zur Gentechnik. Hahn steht nicht allein unter den 64 Gutachtern, die seit Mittwoch in Bonn drei lange Tage über den heftig umstrittenen Entwurf beraten. Gerade die Auseinandersetzung über die Ziele des Gesetzes - neben dem Schutz vor den Gefahren tritt gleichberechtigt die Förderung der Technologie - macht deutlich, wie ideologisiert die Debatte ist und welche Interessen aufeinanderprallen. Da mögen die Staatsrechtler fast unisono darlegen, daß die Förderklausel juristisch nicht haltbar und mit den Schutzzwecken nicht vereinbar ist, die Befürworter zeigen sich unbeeindruckt. Professor Flämig, Vertreter der chemischen Industrie, bezeichnet ein Schutzgesetz kurzerhand als „Polizeigesetz“. Von der Betonung des Fördergedankens jedoch ginge eine „Signalfunktion gegenüber dem unschlüssigen Bürger“ aus.

Drei Tage wird der große Sitzungssaal im „Langen Eugen“ zum Schlachtfeld zwischen Industrie- und Wissenschaftsinteressen einerseits und den Befürchtungen gesellschaftlicher Gruppen und der Naturschutzverbände andererseits. Doch der unwürdige Ablauf dieses Hearings bringt manchen zu der Bewertung, nicht Aufklärung sei hier angesagt, sondern eine „parlamentarische Pflichtübung“. Kurzfristig waren die Einladungen an die Gutachter ergangen, zur schriftlichen Stellungnahme blieb kaum Zeit, wie 13 Gutachter in ihrer Protestresolution zur „unsachgemäßen Überstürztheit“ betonen. Und auch die eingegangenen Stellungnahmen werden erst mehrere Stunden nach Beginn der Anhörung an die Sachverständigen verteilt, manche - wie die wichtige Meinungsäußerung der EG-Kommission - erreichen die Fachleute nur auf Umwegen: Jede Bürgerinitiative hätte das besser organisiert.

Die Eile kommt nicht von ungefähr: um das Gesetzgebungsverfahren noch vor der Niedersachsenwahl am 13. Mai abzuschließen, muß die Anhörung jetzt durchgezogen werden. Das tut den Formalien genüge, nicht der sachgerechten Erörterung.

Dem Gesetzentwurf merkt man die heiße Nadel an, mit der er gestrickt ist. Manche Bereiche werden nicht einmal erwähnt. Dazu gehören die B-Waffen-Forschung, genetische Fingerabdrücke oder die Genomanalyse, bei der der Deutsche Gewerkschaftsbund Befürchtungen vor einer genetischen Auswahl besonders geeigneter Beschäftigter für gefährliche Arbeitsplätze äußert. Dafür wird die Freisetzung von genetisch veränderten Organismen ohne Vorbehalt zugelassen, obwohl die Enquete-Kommission des Bundestages ein fünfjähriges Moratorium vorschlug. Selbst da versäumt es der Entwurf, beim Gefährdungspotential zwischen gentechnisch veränderten Tieren, Viren oder Pflanzen zu unterscheiden. Besonders deutlich wird die Hast der Gesetzesschreiber an den „Leerstellen“ - rund 30 nachträglich zu formulierende Rechtsverordnungen, in denen noch zu definieren ist, was das Gesetz zu regeln vorgibt. Daß dies ein verfassungsrechtlich höchst fragwürdiges Verfahren ist, darauf weisen gleich mehrere Gutachter hin.

Aber es ist vor allem die Industrie, die auf eine Verabschiedung drängt - nachdem sie jahrelang ein solches Gentechnikgesetz abgelehnt hatte. Das änderte sich erst, als man feststellte, daß die Produktionsanlagen nach dem Bundesimmisionsschutzgesetz mit lästiger Öffentlichkeitsbeteiligung abgenommen werden sollten. Als gar der Hessische Verwaltungsgerichtshof letztes Jahr eine Anlage des Chemiekonzerns Hoechst zur Insulinproduktion wegen fehlender gesetzlicher Grundlagen stoppte, legte auch die Bundesregierung den Schnellgang ein.

Widerspruch entzündet sich in der Anhörung an nahezu jeder Frage. Scharf kritisiert wird die fehlende Anpassung an die fast fertige EG-Richtlinie zur Gentechnik. In mehreren Dutzend Punkten, so die Gutachter, gerate der Entwurf in Konflikt mit der EG. Die Bundesregierung laufe Gefahr, das verabschiedete Gesetz sofort wieder novellieren zu müssen, urteilt bündig der Staatsrechtler Professor Riedel. Der Industrie ist das recht: Bis zur erzwungenen Anpassung gebe dies den heimischen Firmen zwei Jahre einen Vorteil.

Eine Generaldebatte über die Gefahren der Technologie ist weder beabsichtigt noch zugelassen. Das engt die Argumentationsmöglichkeiten insbesondere der Kritiker ein. An anderen Stellen finden sich die Kritiker unverhofft Seit‘ an Seit‘ mit der Industrie. Dem Plan, die Genehmigungsverfahren über die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) den Ländern zu entziehen, widerspricht vehement der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Dezentral sei besser, vertritt Professor Flämig und betont die „Konzentrationswirkung“, wenn Genehmigung und Überwachung der Anlagen in einer Hand erfolgt. Auch die Umweltverbände befürworten dezentrale Genehmigungsverfahren. Sie mißtrauen der fast ausschließlich aus Genwissenschaftlern und Industrievertretern besetzten ZKBS. Die Industrie hat andere Motive: Sie rechnet sich mehr Genehmigungschancen aus, wenn sie die elf Bundesländer gegeneinander ausspielen kann, und befürchtet, daß nach einer Genehmigung auf Bundesebene noch eine zweite auf Länderebene notwendig werden könnte. Die universitären Forscher dagegen wollen alles bundeseinheitlich geregelt sehen, um der Länderkompetenz mit den politischen Unwägbarkeiten einer rot-grünen Koalition zu entgehen.

19 Verbände haben vor der Anhörung mit einem Memorandum eine „grundlegende Überarbeitung“ des Gesetzentwurfs gefordert. Die Unterzeichner reichen von Deutschen Naturschutzring mit seinen drei Millionen Mitgliedern über den BBU und die Grünen bis zur katholischen Landjugend. Der Gesetzentwurf schütze Forschung und Industrie „vor dem Schutzanspruch der Bevölkerung“, urteilen die Verbände, die ein Verbot der Freisetzung, der Genomanalyse und der B -Waffen-Forschung verlangen. Vorsorgepflichten und Haftungsrechte fehlten ganz oder seien unzureichend.

Eine zentrale Auseinandersetzung entzündet sich an der Sicherheitsphilosophie des „additiven Modells“. Die Forscher und die Industrie versichern, das zwei für sich allein ungefährliche Bestandteile auch nach einer Rekombination der Gene ungefährlich bleiben. Neue Forschungsergebnisse aber zeigen, daß die Koppelprodukte ungeahnte Gefährdungspotentiale entwickeln können. „Zum Nulltarif bekommen wir keine Ergebnisse“, gibt Professor Frommer (Bayer) schließlich zu, alle Gefährdungen seien nun mal nicht auszuschließen. Und Professor Göbel, vormals Vorsitzender der ZKBS, gesteht zur Verblüffung der Parlamentarier, daß die Sicherheitskriterien für Freilandversuche völlig ungeeignet sind: Was für den Menschen unschädlich sei, könne für die Umwelt verheerende Wirkungen zeigen.

Die Problematik der vier verschiedenen Sicherheitsstufen und der Öffentlichkeitsbeteiligung durchzieht die Anhörung. Bei Forschungsvorhaben soll es gar keine Öffentlichkeitsbeteiligung geben. Bei Produktionsanlagen ist sie nur für die Stufen drei und vier vorgesehen; bei Stufe zwei eingeschränkt auf die einmalige Abnahme der Anlage. Für Stufe eins ist dagegen nur ein Anmeldeverfahren mit Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis vorgesehen. „Außerordentlich problematisch“, so das Umweltbundesamt. Anlagen höherer Sicherheitsstufen aber gibt es kaum ein halbes Dutzend. Pikant: Die Verfahren der Firmen Grünenthal und Hoechst, die nach einem öffentlichen Genehmigungsverfahren gerichtlich gestoppt wurden, fielen künftig unter Sicherheitsstufe eins mit einer simplen Erlaubnis.

Es sind vor allem die Grünen, die - umfangreich vorbereitet - die Gutachter bedrängen. Sie lehnen die Nutzung der Gentechnologie grundsätzlich ab. Für die SPD dagegen ist das Gesetz „noch“ unzureichend. Der SPD-Abgeordnete Catenhusen macht keinen Hehl daraus, daß die Chancen der Gentechnik zu nutzen seien. Die Grünen werfen der SPD vor, sie sei ganz froh, wenn ihr die CDU die Arbeit abnehme, ein derart belastetes Gesetz durchzupauken. Catenhusen dagegen äußert den Verdacht, die Bundesregierung werde wegen der Vielzahl der Einwände mitten in der Beratung die Pferde wechseln und einen neuen Entwurf vorlegen, der die Länder mehr beteiligt. Dann wäre die Anhörung umsonst gewesen.

Professor Hahn, ob seiner kritischen Position nicht vom Bundesgesundheitsamt nominiert, sondern als Privatgutachter, zitiert die 'Chemikerzeitung‘ von 1938. Beim Bau von Luftschiffen hätten Chemiker „nicht die mindesten Bedenken“, daß eine Selbstzündung möglich sei. Zwei Monate später explodierte die „Hindenburg“.

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