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Bonn will Einheit per Vertrag

Deutschlanddebatte im Bundestag / Vertragsgemeinschaft mit der DDR soll Einheit festschreiben Koalitionsparteien mit wirtschaftlicher Entwicklung in der DDR nicht zufrieden / Heftige Kritik der Grünen  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Die Bundesregierung will bereits durch die angestrebte Vertragsgemeinschaft zwischen beiden deutschen Staaten eine Festlegung auf die Wiedervereinigung erreichen. Vor dem Bundestag sagte Kanzleramtsminister Seiters gestern, die Perspektive „einer bundesstaatlichen Ordnung in Deutschland“ müsse in dem Vertragswerk „deutlich formuliert werden“. Und: „Wir wünschen uns, daß ein freigewähltes Parlament in der DDR eine solche Perspektive für die Lösung der nationalen Frage und damit das Ziel der staatlichen Einheit Deutschlands bekräftigt.“

Die Vertragsgemeinschaft, die bald nach den DDR-Wahlen am 6.Mai geschlossen werden soll, ist nach den Worten des Ministers nur eine „Durchgangsstation“ auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Diese neue Funktionsbestimmung für die Vetragsgemeinschaft - bisher war nur allgemein von einem Vertrag über „gutnachbarliche Beziehungen“ die Rede - ist nun auch die Begründung dafür, daß die Verhandlungen auf den Zeitraum nach der DDR-Wahl hinausgeschoben werden. FDP-Chef Lambsdorff erläuterte dies in der gestrigen deutschlandpolitischen Debatte so: „Der Vertrag muß zumindest die Perspektive der deutschen Einheit eröffnen. Es ist kaum denkbar, daß das mit der SED und der Modrow -Regierung geht.“ Unterhalb eines derartigen Vertrags, der nach den Worten des FDP-Politikers „wahrscheinlich völkerrechtliche und staatsrechtliche Qualität“ erreichen werde, könnten bereits vor dem 6.Mai Einzelabkommen geschlossen werden, die keiner parlamentarischen Ratifizierung bedürfen. Die Redner der Koalitionsfraktionen machten gestern zugleich deutlich, daß ihnen bisherige Bekenntnisse zur Marktwirtschaft durch DDR-Politiker noch nicht reichen. Die DDR müsse, so Seiters, Abschied nehmen von „zentralistischer Planung“ und „jetzt und schnell eine Entscheidung für die marktwirtschaftliche Ordnung fällen“. Lambsdorff: „Es reicht nicht, wenn die DDR jetzt zur Marktwirtschaft 'ja aber‘ sagt; sie muß ja sagen!“

In das gleiche Horn, wenn auch dezenter, stieß der SPD -Wirtschaftspolitiker Wolfgang Roth: „Mich freut es, in welcher Geschwindigkeit sie auf unsere Ideen einschwenken.“ Sämtliche Redner der Altparteien waren sich einig in ihren Appellen an die DDR-BürgerInnen, jetzt „drüben zu bleiben“. CDU-Minister Seiters sagte, entscheidend dafür sei, ob die „Hoffnung“ der DDR-Bewohner auf die deutsche Einheit gestärkt werde. Die SPD forderte hingegen „schnelles Handeln“ durch einen Katalog von Sofortmaßnahmen, zu denen auch die Überprüfung bisheriger Sozialleistungen für Übersiedler gehören müsse. Über eine Streichung von Sozialleistungen äußerte sich der Arbeits- und Sozialminister Blüm aber nur verschwommen: „Wo eine Anpassung nötig ist, wird es nicht auf Kosten der Eingliederung gehen.“ An den Fremdrenten für Übersiedler wolle die Regierung festhalten.

In der gestrigen Debatte, die weitgehend vom Wahlkampfgetöse geprägt war, setzen nur die grünen einen anderen Akzent. In Anlehnung an die Oppositionsforderungen am runden DDR-Tisch forderten sie die Auflösung des Verfassungsschutzes sowie eine Reduzierung von Bundeswehr, Wehrdienst und Rüstungsprojekten. Antje Vollmer beschuldigte die SPD, durch massive Einmischung in DDR-Verhältnisse den Grundlagenvertrag zu verletzen. Die BRD habe als westlicher Frontstaat den kalten Krieg mitgewonnen und stünde nun „in der ersten Reihe der ökonomischen Vorwärtsstrategie“ gen Osten. Siehe Dokumentation Seite 10

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