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Innenansicht einer Zeitung

■ Besuch bei den „Nordeutschen Neuesten Nachrichten“ (NNN)

Neben einem Friseurbedarfladen an der Kröpeliner Straße geht der schmale Flur rein, von dem durch eine sprechfunk-und summergeschützte Tür eine schmale Treppe zur Redaktion der NNN hochführt. Verteilt Über verschiedene Etagen, enge Zimmer, schmale Flure, getränkt vom Duft des Friseurbedarfs, arbeiten hier 13 Redakteurinnen, 7 weitere in Außenredaktionen, die Hälfte weiblich. Der stellvertretende Chefredakeur, Thilo Herzog, ist umstandslos und freundlich zum Gespräch bereit, als ich unangemeldet daher komme. Er schließt das chefmäßig ruhige Zimmer des abwesenden Chefredakteurs auf, läßt Kaffee zum Durchkauen servieren, sprudelt über vor Mitteilungsbedürfnis. Es ist ja noch nicht so lange her, sagt er, solche West-Kontakte bei Strafe verboten waren.

Erste Frage: Sehen Sie, was passiert eher als friedliche, demokratische Revolution oder als Zusammenbruch? - Zu Beginn habe er es für eine friedliche Revolution gehalten, jetzt scheine es sich eher dem Zusammenbruch

zu nähern. Es gebe einfach keine Konzepte für das, was geschehen soll. Es gebe Anrufe und Leserpost gegen alles Mögliche. Aber keiner wisse, wie es weiter gehen solle. „Darin sehe ich eine gewisse Tragik.“

Wir sprechen darüber, wie sich die Zeitung im ersten freien Wahlkampf verhalten will. Klar ist für Herzog, das die Zeitung der NDPD, die von ihrer Partei mit 2 Mio. subventioniert wird, - sein Chef spricht später von 1 Mio. für diese Partei in den Wahlkampf ehen muß. Früher sei man immerhin schon ein Jahr vorher damit angefangen. Es kämen auch schon Klagen von der Partei, daß die Zeitung zuwenig Reklame mache. Aber für wen, wenn gerade die Aushängeschilder aus der Partei austräten und niemand bereit sei,für etwas einzutreten.

Wieweit muß sich NNN überhaupt noch als Parteizeitung ansehen? Das sei eine schwierige Frage. Einer habe sein Parteibuch auf den Tisch geknallt und er kenne etliche, die es liebend gern tun würden. „Aber wissen Sie, ich bekomme allmählich ernst

hafte Existenzängste, wie das weitergehen sol. Ich bin ja hier Berufungskader.“ Die Berufgskader sind die leitenden Herren, sie werden nach Parteibuch von der Parteispitze eingestellt und stellen ihrerseits den Rest ein.

Nein, in dieser offensten Zeitung der Blockparteien herrscht keine Aufbruchseuphorie sondern Streß und Angst. Angst, bei denen, die zu verlieren haben und Streß bei allen, daß es so nicht mehr weiter geht und alles Neue ungewiß ist. Recherchieren statt Verlautbaren. Herzog: „Wir haben noch Schwierigkeiten mit dem Recherchieren“. In der Affäre um den Wohnungstausch des Rostocker Rechtsanwalts Schnur, Demokratischer Aufbruch, habe man immer wieder einander wiedersprechende Darstellungen abgedruckt. Ein neuer Herausgeber? Herzog: „Wo finden wir in diesem kaputten Land n Geldgeber?“ Autonomie der Redaktion? Auch der Chefredakteur Wolf-Dietrich Gehrke, mit dem ich am nächsten Tag spreche, läßt keinen Zweifel daran, daß die Zeitung in diesem Wahlkampf

kein Forum für die Opposition sein wird, sondern für die Blockpartei.

Die nette Frau an der Schreibmaschine, die Manuskripte tippte, die zur Ostseedruckerei in den Bleisatz gehen übersprudelnd vor Mitteilungsbedürfnis auch sie - kann nachts oft nicht schlafen, wenn da so ein Leserbrief auf der Seite stand, der sie aufgeregt hat. Und wenn sie merke, wie fertig die Redakteure seien von alldem.

Arbeiten, gar schreiben, kann man da ohnehin nicht mehr, sagt auch ein Kollege aus der Redaktion: Leser, Leserbriefe, aufgebrachte Leute, eine Redaktion, in der es brodelt. Und die beiden, mit denen ich gesprochen hätte, seien die Oberbremser, die die Macht der SED und ihres Blocks erhielten, statt sie zerschlagen zu helfen und mit klarsehenden Leute wie Jochen Gauck vom Neuen Forum und Ingo Richter von der SPD zusammenzuarbeiten. Die Mehrheit der Redaktion hat den Chefs mit Absetzung gedroht, wenn sie sie weiter behindert.

Uta Stolle

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