: Sechsismustage
Vergeblich kämpfte Stuttgarts Frauenbeauftragte gegen den haarsträubenden Sexismus beim Sechstagerennen ■ PRESS-SCHLAG
Stuttgart bleibt unangefochten die Sporthauptstadt der Bundesrepublik, auch wenn die heimliche gesamtdeutsche Hauptstadt Berlin derzeit wohl bessere olympische Karten hat. Insgesamt rund 55.000 Zuschauer wuselten beim Stuttgarter Sechstagerennen durch die Schleyer-Halle und erfreuten sich an der unnachahmlichen Schwabenmischung aus Busen, Bier und Bahntorpedos.
So mancher Sixdays-Veranstalter wird wohl neidisch auf die Daimlerstadt blicken und sich nach dem Erfolgsrezept fragen. Radsportstars- und sternchen wie Laurent Fignon, Greg LeMond, Andreas Kappes, Rolf Gölz oder Sixdays-Liebling Didi Thurau waren es jedenfalls nicht. Sie wurden von den wenigen echten Radsportfans auf dem 200 Meter langen Holzoval an der Stätte des bundesdeutschen Davis-Becker-Cup-Erfolges vergeblich gesucht.
„Die Sixdays sind besser als der Davis-Cup. Hier ist wenigstens was los“. Der elegant gekleidete Herr an der Nightclub-Theke in den Katakomben der Schleyer-Halle scheint zufrieden. Zusammen mit seinem schwergewichtigen Nachbarn, dem Gewichtheber Manfred Nerlinger, und rund 150 anderen Gästen genießt er sichtlich die Wahl der „Miß Busen“. Sechs Tage lang, jeden Abend dreimal nackte weibliche Haut, vorwiegend für Männeraugen. Und immer wieder die knarrende Marktschreierstimme, die „Zickezacke, zickezacke!“ ruft und ein donnerndes „hoi, hoi, hoi!“ von den Busenglotzern hören will. „Die Mädchen wollen viel mehr Beifall, sonst ziehen sie kein Stück aus“, weist der Striptease-Einpeitscher die zögerlichen Herren allabendlich zurecht.
Die Zuschauer wollen das halt“, verteidigt Sechstage-Chef Winfried Holtmann diesen ritualisierten Entkleidungsnepp. Und die braven Schwaben stimmen seit Jahren mit den Füßen für ihn ab. Die frühere Frauenbeauftragte Gabriele Steckmeister nannte das Drumherum außerhalb der Rennbahn „eindeutig sexistisch“. Dank ihrer Intervention mußte 1986 das bis dahin so beliebte „Bullenreiten“, bei dem Frauen oben ohne die Männerphantasien inspirierten, abgesetzt werden. Frauen ritten von da an bekleidet, „schlüpfrige und anzügliche Bemerkungen“ sind geblieben, kommentierte die inzwischen resigniert zu anderen Aufagben abgewanderte Frauenbeauftragte damals die „Reform“.
Schon vor vier Jahren hatte Holtmann „der Emanzipation wegen“ Männerstriptease angekündigt. Bisher ohne sichtbares Ergebnis. Am Abschlußtag der 90er Auflage versprach der Sindelfinger Journalist und Radsportmanager erneut, er werde „etwas für die Frauen tun“. Anlaß bot eine Rundfunkumfrage, bei der einige Besucherinnen nach nackten Männern verlangt hatten. Eine „Mister-Wahl“ wollte sogar die Stuttgarter Pastoralreferentin Marie-Luise Hildebrand.
Holtmann ließ sich von dem „Damenwunsch“ nicht aus der Chauvi-Ruhe bringen. „Wenn die wollen, sollen sie einen Mann kriegen. Man muß halt nur einen knackigen finden.“ 1991 soll es nun endgültig soweit sein. Daß die Kritik an seinem Busen - und Po-Dauerbrenner nicht verstummen will, ficht ihn nicht an. Im Gegenteil. Stolz erzählt er, daß „die Mädchen am ersten Tag ausgetauscht wurden. Die waren wohl eher fürs Altersheim bestimmt. Jetzt haben wir weitaus frischere Äpfel“.
Viel war es offensichtlich nicht, was Frau Steckmeister in Stuttgart bewegen konnte. „Striptease gehört halt zur Sechstage-Show wie Bierzelt-Atmosphäre, Zigarettenqualm und spektakuläre Stürze - Volksfest und Sport eben“, so rauschte es unisono durch den lokalen und regionalen Blätterwald.
„Mehr Niveau“, soll es nächstes Jahr geben, versprach der Sindelfinger Sex-Tage-Veranstalter. Einen Star wie Andreas Kappes will er dem Volk zu seinem Fest präsentieren. Dazu wahrscheinlich endlich nackte Männerärsche und besonders „frische Mädchenware“.
In Berlin wird Nina Hagen aufgeboten, um das Sechstage -Publikum bei Laune zu halten. Das multikulturelle Showprogramm dort trägt den Stempel des rot-grünen Senats. In der Schwabenmetropole bleibt's bei Sauerkraut und Schupfnudeln, bei Nackedeis, Feuerwehrkapellen und Faschingsumzügen.
Wer gewonnen hat beim kurvenreichen Spektakel in Stuttgart, wollen Sie wissen? Etienne de Wilde und Volker Diehl - aber wen interessiert das schon?
Eberhard Frohnmeyer
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