Immigrantinnen: „Sport auf Vertrauensbasis“

■ Türkische Mädchen und Frauen im Sport / Landessportbund will „Integration“ - türkische Frauen fordern Angebote, die die Bedürfnisse der Frauen berücksichtigen / In der Türkei hat Sport immer noch einen geringen Stellenwert / Im Leben der Frauen spielt Freizeit kaum eine Rolle

Erstmalig setzten sich Mitglieder des Landessportbundes (LSB) am vergangenen Donnerstag hin, um über die fehlende Präsenz der türkischen Frauen und Mädchen in den Berliner Sportvereinen zu diskutieren. Als türkische Fachfrauen war Mavis Arslan (29) und ihre griechische Freundin Mary Puki (27) eingeladen.

Beide haben vor kurzem als erste Ausländerinnen in Berlin ihr Sportstaatsexamen gemacht. „In der Türkei hat Sport immer noch einen geringen Stellenwert“, stellt Mavis Arslan fest, die ihre Examensarbeit dem Thema Freizeitverhalten türkischer Immigrantinnen widmete. Nur in den türkischen Großstädten gäbe es ein Sportangebot, welches wiederum höchstens von Frauen mit höherem Schulabschluß wahrgenommen würde. Die türkischen Frauen in Berlin, die hier in der ersten Generation leben, kämen jedoch fast ausschließlich aus den ländlichen Gebieten. „Ob erwerbstätig mit monotoner Akkordarbeit oder in der Isolation als Hausfrau, Sport spielt in der wenigen Freizeit keine Rolle“, folgert Mavis Arslan, die auch die Sprachbarriere als Grund dafür nennt, warum nur 500 von über 40.000 türkischen Frauen in einem Berliner Sportverein Mitglied sind. Zwar machten die türkischen Mädchen der zweiten Generation eigene sportliche Erfahrungen in der Schule, doch danach höre die sportliche Aktivität meistens schnell auf.

Über die Gründe sind sich die an diesem Abend anwesenden FunktionärInnen uneinig: Einer der Übungsleiterinnen erscheint es „so, als ob die nach dem Willen der Väter dann wieder zum Kopftuch greifen müßten - nach Kinderaufpassen und im Laden helfen kommt mein Handballtraining um fünfe ganz zuletzt“. Eine andere will wissen, was sie nach dem Sport mit den ausländischen Mädchen unternehmen kann, denn „ich weiß, daß die Ärger kriegen, wenn's draußen schon dunkel ist“.

Frust kommt in der Runde auf, als die Rede auf den 1981 vom LSB initiierten Gymnastikkurs für türkische Frauen kommt: Nach wenigen Monaten hörte der von einem Tag auf den anderen auf, weil die Frauen einfach wegblieben. Seitdem gab es vom LSB nie wieder ein gezieltes Sportangebot für ausländische Frauen. Insgesamt dominierte auf seiten des Landessportbundes Unsicherheit darüber, wie denn Angebote für junge türkische Frauen und Mädchen aussehen könnten. Bei den organisierten Sportlerinnen geht der Trend eher in Richtung „Integration“. „Es müssen endlich die Eigenheiten der Türkinnen akzeptiert werden, deutsche Frauen sind es eben gewohnt, individuell ihre Freizeit zu gestalten und etwas im Alleingang zu machen. Türkinnen bevorzugen die Gruppe und gehen nicht so leicht aus sich heraus“, kritisiert Mavis Arslan. „Passende Angebote“, wie sie an Volkshochschulen und von Frauenprojekten schon vereinzelt angeboten werden, sind nach Mavis Sportkurse für türkische Frauen, die in jeder Hinsicht offen sind, so daß zum Beispiel junge Mütter ihre Töchter mitbringen könnten. Über türkische Übungsleiterinnen, die auch eine sozialarbeiterische Funktion wahrnehmen sollten, könne die so wichtige Vertrauensbasis hergestellt werden. Ebenso seien Kleidervorschriften wenig sinnvoll: In einer von Mavis Arslans Gymnastikgruppen turnte einer der Frauen im Nachthemd. „Als sie dann sah, daß sie die einzige war, besorgte sie sich auch ein T-Shirt und Gymnastikhose.“

Karin Figge