Konservative Regierungsallianz in Süd-Korea

Regierungspartei fusioniert mit Oppositionsparteien / Zweidrittelmehrheit nach japanischem Vorbild sieht Verfassungsänderung vor / Dem Ministerpräsidenten soll an Stelle des Präsidenten entscheidende Stellung eingeräumt werden / Parteitag für Ende Mai angekündigt  ■  Aus Tokio Georg Blume

„Es handelt sich um einen Putsch gegen das repräsentative System“, sagt Kim Dae Jung, Süd-Koreas bedeutendster Oppositionsführer am Montag in Seoul. Er ist außer sich. Doch seine Stimme im Fernsehen bleibt kühl. Er fordert alle Abgeordneten des nationalen Parlaments auf, sofort ihr Mandat niederzulegen. Das Parlament soll aufgelöst werden und so schnell wie möglich soll es Neuwahlen geben. Dae Jung weiß wohl, daß es um die Demokratie schlechthin in seinem Land geht. Und er weiß jetzt auch, daß er an der Spitze wieder allein steht.

Die Vorboten der für Süd-Korea historischen Nachricht zirkulierten bereits am Sonntag in den asiatischen Hauptstädten. Doch so schnell wollte dem in Tokio niemand Glauben schenken. Dann trafen am Montag die offiziellen Depeschen ein: Süd-Koreas Regierungspartei löst sich auf, und zwei von drei führenden Oppositionsparteien mit ihr. Noch in diesem Jahr ist die Gründung einer „großen, konservativen Partei“ mit dem bisherigen Präsidenten Roh Tae Woo an der Spitze geplant. Die neue Partei will das bisherige nur zwei Jahre alte Präsidentschaftssystem in ein parlamentarisches System umwandeln. Kim Dae Jung bleibt mit seiner „Partei für Frieden und Demokratie“ (PFD) einsam in der Opposition zurück. Damit wäre der Putsch tatsächlich perfekt.

Denn kein Zweifel, worum es geht. In Süd-Korea wollen die Regierenden japanische Verhältnisse schaffen, kurz: ein faktisches Einparteiensystem. Der Regierungssprecher in Seoul erklärte das sehr deutlich: „Die neue Partei wird alle liberal-demokratischen Kräfte Süd-Koreas vereinen.“ Bekanntlich nennt sich die herrschende Partei in Tokio liberal-demokratisch. Er fügte hinzu, daß man in Seoul erkannt habe, welch große Stabilität der Parlamentarismus dem japanischen Nachbarn beschert habe. Und so lautete denn auch die offizielle Begründung für das politische Großmanöver. „Die politische Reorganisation ist nötig, um Süd-Korea Stabilität zu verschaffen“, erklärte Roh Tae Wo am Montag. Die neue Partei wird von einer kollektiven Führung gelenkt werden.

Vor allem die beteiligten Oppositionsparteien brechen damit alle Wahlversprechen. Kim Yung Sam, Führer der zweitgrößten Oppositionspartei, Partei für Wiedervereinigung und Demokratie (PWD), und Kim Jong Pil, Führer der drittgrößten Oppositionspartei, Neue Demokratisch-Republikanische Partei (NDRP), waren bei der Parlamentswahl 1988 gemeinsam mit Kim Dae Jung gegen die Machthaber in Seoul angetreten. Gemeinsam mit den demonstrierenden Studenten ging es den Oppositionsparteien um die Ablösung einer aus diktatorischen Zeiten überkommenden Regierung. Ein Ziel, das bisher verfehlt wurde. Nun stellen sich zwei der Oppositionsparteien auf die Regierungsseite, schaffen den „fait accompli“ ohne Befragung von Parteibasis und Wählerschaft. Kim Jong Pil putschte bereits 1961 General Park an die Spitze Süd-Koreas. Bei ihm kam die Wende nicht überraschend. Bei Kim Yung Sam, dem man zumindest ein demokratisches Gewissen nachsagt, muß bei der Entscheidung wohl die alte, zerstörerische Rivalität mit Kim Dae Jung überwogen haben. Ein Zurück wird es jetzt freilich kaum mehr geben.

Umso fraglicher sind die Versprechen von zukünftiger Stabilität. Zwar zog der Aktienindex am Montag in Seoul um kräftige 23 Prozent an, doch wurden Studenten und die politisch stark motivierten Parteibasisgruppen bisher nicht befragt. Unklar ist vor allem, inwieweit die PWD ihrem Chef gehorcht. Auch gibt es Befürchtungen um eine weitere regionale Spaltung Süd-Koreas. Denn der Name Kim Dae Jung steht nicht nur für eine Partei, sondern für den gesamten Südwesten des Landes, wo Kim politisch beheimatet ist. Von dort aus wird er überlegen müssen, wo neue Partner zu finden sind. Eine Radikalisierung der Opposition unter Kims Führung, auch unter Beteiligung der Studentenschaft ist nicht auszuschließen. Auf der Gegenseite wird man nun versuchen, den einzigen verbliebenen innenpolitischen Gegner in die linke Ecke abzudrängen, auch wenn Kim Dae Jung nie Sozialist war, allenfalls Sozialdemokrat.

Präsident Roh feiert schon heute den Erfolg. Noch vor zwei Wochen hatte er sein Volk belogen, daß er an „politischen Koalitionen“ nicht interessiert sei. Nun muß er sich um die Zweidrittelmehrheit im Parlament bemühen, die nötig ist, um die Verfassung wie geplant im Sinne eines parlamentarischen Systems umzuwandeln. Auch eine Volksabstimmung wäre dafür möglich. Immerhin verfügen die neuen Partner der „großen, konservativen Partei“ über ausreichend Mandate für die Zweidrittelmehrheit - doch ist es fraglich, ob alle Parlamentarier mitspielen. Der letzte Versuch der Regierung, den Parlamentarismus einzuführen, scheiterte 1986/87. Die meisten Süd-Koreaner waren dagegen.