„Gegen den nationalen Konsens“

Detlef zum Winkel, freier Journalist u.a. für 'Konkret‘ und 'Arbeiterkampf‘ und einer der Initiatoren der „Radikalen Linken“, über die unterschiedlichen Ansätze des Widerstands gegen deutschen Nationalismus und Wiedervereinigungspolitik  ■ I N T E R V I E W

taz : Gestern nacht habt ihr die schon verabschiedete gemeinsame Erklärung der „Radikalen Linken“ umgeschrieben oder vielmehr ergänzt: „Wir wollen die DDR nicht haben“ hieß sie ursprünglich. Mit „Nie wieder Deutschland“ ist sie in der Neufassung überschrieben. Bedeutet das, daß ihr jetzt einen neuen, anderen Ausgangspunkt für das Thema Wiedervereinigung habt?

Detlef zum Winkel: Ja. Ursprünglich war der Einstieg in das Thema Wiedervereinigung eine Reflexion der Verhältnisse in den osteuropäischen Ländern. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit wieder auf die Situation in der DDR und den Wahlkampf dort gelenkt, auf die Sowjetunion, auf Polen... Die Diskussion gestern hat gezeigt, daß man sich von diesen dramatischen Ereignissen frei machen muß, um den unverstellten Blick für die Wiedervereinigungspolitik hier in der Bundesrepublik zu bekommen. Ausgangspunkt der Erklärung ist nun die hierzulande betriebene Wiedervereinigungspolitik.

Gibt es innerhalb der „Radikalen Linken“ eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung beim Umgang mit den Themen „neuer, großdeutscher Nationalismus“, „Revanchismus“?

Ich würde es so formulieren: Die Lagebeurteilungen sind fast identisch. Es gibt aber zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Einer der Initiatoren, das DKP-Mitglied Georg Fülberth beispielsweise, ist vor allem bestürzt, weil nun in der DDR nach der deutschen Einheit geschrien wird. Für ihn drängt sich die Situation in der DDR immer wieder in den Vordergrund. Ich dagegen meine, man muß sich von der DDR -Politik völlig frei machen und sich auf die massive deutschnationale Propaganda bundesrepublikanischer Politiker wie Kohl, Vogel, Brandt und Genscher, auf das antisemitische Coming-out des 'Spiegel'-Herausgebers Augstein konzentrieren.

Ein wiedervereinigtes Deutschland sei das „größte anzunehmende politische Unglück“ - darin zeigt sich die „Radikale Linke“ einig. Begründet wird dies doch aber unterschiedlich?

Ja. Ein Teil der „Radikalen Linken“ begründet dies mit dem wirtschaftlichen Machtzuwachs eines wiedervereinigten Deutschlands. Andere, wie zum Beispiel ich, finden, eine solche marxistische Ökonomieanalyse greift zu kurz. Ich frage zunächst: Was wird aus einer Bevölkerung, die deutsch -national entfesselt ist, die Herrenrassenansprüche gegenüber den Polen und den Menschen in der Sowjetunion erhebt.

Implizieren diese unterschiedlichen Ansätze auch unterschiedliche Stategien gegen den neuen Nationalismus?

Ich glaube nicht. Es kommt für uns alle darauf an, die Widersprüche transparent zu machen und sich gleichzeitig zu Aktionen zusammenzufinden. In einem wichtigen Punkt sind wir uns völlig einig: Es gilt, nicht allzusehr nach den realpolitischen Möglichkeiten eines Widerstandes zu fragen, sondern wir müssen dem massiven nationalistischen Druck eine internationalistische Position entgegenhalten.

Haben sich bei der Diskussion über die Form des Widerstandes nicht zwei unterschiedliche Ansätze herausgeschält?

Ja. Es gibt jene, die ein möglichst breites Bündnis gegen Wiedervereinigung und Nationalismus anstreben - auch mit jenen Rosa-Grünen, gegen die sich die „Radikale Linke“ ursprünglich abgrenzen wollte. Ein fundamentalistischer Ansatz geht davon aus, Großdeutschland kommt sowieso, also laßt uns lieber eine konsequent linke, radikale Politik machen, selbst wenn dann weniger Leute mitmachen. Absolute Einigkeit herrscht dagegen in einem Punkt: Bevor man an Bündnisse mit anderen politischen Kräften denkt, gibt es keine anderen Möglichkeiten, denn als kleine radikale Linke zu agieren.

Wenn wir überhaupt gesellschaftliche Impulse geben wollen, so muß jetzt in provozierender Schärfe gegen den nationalen Konsens angegangen werden. Und das heißt zum Beispiel, mit linken Sozialdemokraten erst mal über Willy Brandt und seine plumpe nationalistische Agitation reden, bevor man sich mit ihnen verbrüdert.

Interview: Ferdos Forudastan