Mandelas Entlassung in die Sichtbarkeit

■ Daß die Medien nicht wissen, wann und wo Nelson Mandela aus dem Gefängnis kommt, bringt den Apparat ins Rotieren

Kein Himmel wird sich verdunkeln und kein Engel in die Posaune stoßen, wenn er, der zum Mythos Gewordene, nach 26 Jahren sein Gefängnis verlassen wird. Nein, internationale Fernsehteams werden auch den letzten Winkel mit ihren grellen Scheinwerfern ausstrahlen, und die Posaunen werden keine Chance haben gegen das Geklicke der Kameras und das JournalistInnen-Geschrei aus tausend Mündern: „Herr Mandela, wie fühlen Sie sich jetzt?“

Die Entlassung des berühmtesten politischen Gefangenen der Welt in die Sichtbarkeit heißt für Nelson Mandela, sich auf eine neue Rolle einzustellen: Nicht mehr der Staat wird ihn verfolgen, sondern der Medienapparat omnipräsent sein. Die Jagdsaison ist in Südafrika hiermit eröffnet. Besonders die USA tun sich dabei hervor. Wir erinnern uns der Standhaftigkeit US-amerikanischer Fernsehteams vor dem Brandenburger Tor. Sie wissen, welchen Tribut sie ihrem Publikum zu Hause schuldig sind. Der Aktionismus, mit dem sich historische Prozesse dieser Tage präsentieren, kam dem Snapshot-Prinzip des US-Fernsehens zupaß. Doch da hatten es alle leichter, wußte man doch, daß sich das Tor öffnen mußte, die Frage war nur, wann.

Im Falle Mandela wird's kompliziert. Nicht nur ist das Datum unbekannt, auch der Ort der Freigabe wird vom de Klerk -Regime nicht verraten. Bisher schon 2.000 Visaanträge ausländischer JournalistInnen wurden gezählt. Vor einem halben Jahr, als die weiße Minderheit des Landes sich eine weiße Minderheitsregierung wählte, veranstaltete die Polizei noch Hetzjagden auf unliebsame JournalistInnen. Nun sind sie alle willkommen, zumindest die, die die Mandela-Freilassung als „Kronjuwel“ des von Staatschef de Klerk postulierten „neuen Südafrika“ via Satellit um die Welt jagen werden. Die Zurücknahme einer widerrechtlichen Handlung (Mandela gefangen zu halten) eines illegitimen Regimes wird so auf der Weltenbühne als gute Tat inszeniert, und die Medien laufen Gefahr, zum Handlanger eines Systems zu werden, das nun auch mit nicht-militärischen Mitteln um sein Überleben kämpft. Mediale Selbstreflektion findet meist erst nach Eintreten des Ereignisses statt. Vorerst kreißt die Medienmaschine in ungeahntem Maß in sich und generiert auch - neue Ereignisse, auf alle Fälle unendlich viele Möglichkeiten. Kommt Mandela Ende Februar heraus, oder kurz nachdem de Klerk am 2. Februar das südafrikanische Parlament eröffnet? Oder am 9.2.? Oder am 16.2.? Tagsüber oder nachts? Heimlich oder mit anberaumter Pressekonferenz? Lassen sie ihn aus seinem jetzigen Gefängnis nahe Kapstadt gehen oder fliegen sie ihn nach Johannesburg? Wird er in sein „Streichholz„-Haus in Orlando West/ Soweto zurückkehren oder in den umstrittenen Bungalow ziehen, den Winnie Mandela bauen ließ?

Die Logistik steht: CBS, ABC und zwei andere Fernsehanstalten haben zusammen schon für Wochen im voraus 150 Räume im Fünf-Sterne-Hotels in Johannesburg und Kapstadt gebucht. „Nightline“, die bekannte Interviewsendung Ted Koppels von ABC, versucht jetzt schon laut 'Business Day‘ vom Montag, das erste Interview mit Mandela zu bekommen, auch vor Abmachungen mit der de Klerk-Regierung wird nicht Halt gemacht. Fernsehanstalten halten sich schon jetzt bis zu vier Stunden täglich teure Satellitenzeit frei, Journalisten patrouillieren vor Mandelas Gefängnis, fangen Winnie Mandela ab, versuchen andere Schlüsselpersonen zu kontaktieren, haben Nachbarn im Visier und entwerfen Pläne über Pläne. Ihre Autos sind mit Telefonen ausgestattet, und sie kommunizieren mit Walkie-talkies. Hit the target. Das US -Wochenmagazin 'Newsweek‘ vom 22.1. zitiert einen Journalisten: „Wir wollen alle sagen können: dies sind die ersten Bilder von Nelson Mandela seit 26 Jahren. Wenn du das schaffst, hast du gewonnen.“

Und dann? Mandela, der „Vater der Nation“, der bisher stetig, doch bestimmt im Unsichtbaren wirkte, wird den Gang in die Sichtbarkeit bestehen. Politisch sozialisiert im Vor -Fernsehzeitalter, wird er schnell lernen müssen, die Medien für seine Zwecke zu instrumentalisieren - gegen das Regime in Pretoria. Nach dem Snapshot fängt die Geschichte erst richtig an.

Andrea Seibel