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„Wie war die Reise?“

■ Claus Peymann geht in der Uraufführung von Handkes „Spiel vom Fragen“ aufs Ganze

Peter Handke legt seinen Figuren auf ihrer Reise zum sonoren Land viele Kommentare zum Stück selbst in den Mund. Spielregeln, die obwohl erst zu finden - verkündet werden: „Daß es aber nun hohe Zeit ist, uns, mit der Scheu als dem Kompaß, auf den Weg zu machen und mit gesammeltem Ernst und möglichster Leichtfüßigkeit zwischen den Tragödien und Komödien einmal das ausstehende Drama des Fragens zu spielen.“

Was zu geschehen hat, wird ebenso ausgesprochen wie das, was zu unterlassen ist („kein Fragen als Fallenstellen“) und auch das Risiko der Expedition ist allen bewußt: „Kann sein, daß wir jene Suche nach der Nordwest-Passage wiederholen, die der Captain Cook nicht und nicht finden konnte - einfach, weil es sie nicht gibt.“

Aber nicht bloß die Handlung wird mehr besprochen, als daß sie in Gang kommt, auch die Art der Darstellung und des Sprechens wird in Frageform zum Thema: „Daß wir unfähig sind, die langen, verschlungenen Sätze darzustellen?“ Und: „Daß unsere Gesten nur noch uns selber zeigen, statt hinaus in einen Raum?“

Gerade diesen letzten Satz könnte man voreilig zu einer Polemik gegen Handkes Spiel benutzen - in dem Sinne, daß sein Stück nur auf sich verweist. Doch das Wunder des Frage -Spiels besteht darin, daß es ein poetisches Propagandastück für sich selbst ist und gleichzeitig einen Möglichkeitsraum eröffnet.

Sieben Personen finden zufällig zu einer Gruppe zusammen und machen sich notwendigerweise als Reisegesellschaft auf den Weg ihres „Immerweiterfragens“: Ein „Mauerschauer“ (Martin Schwab) erweist sich als Optimist, der sich fragen muß, warum ihm „das Schönfinden heutzutage schwerer und schwerer fällt„; sein Kontrahent beziehungsweise Partner ist Peter Fitz als „Spielverderber“, der doch „das Spiel in Gang halten muß“ (gegen Ende der Reise werden sie als Ferdinand und Anton Pawlowitsch angesprochen - mit den Vornamen von Raimund und Tschechow also, denen das Stück gewidmet ist); ein richtiges Paar spielen Markus Boysen und Therese Affolter als „junger Schauspieler“ und „junge Schauspielerin“, denen der Antrieb, „ein Schauspieler sollte ein Wahrspieler sein“, „fast verloren“ gegangen ist; Anneliese Römer und Rudolf Buczolich sind das „alte Paar“, das, je älter es wird, „desto mehr alles in Frageform“ denkt; Uwe Bohm spielt mit großem körper(sprach)lichen Einsatz den anfänglich sprach- und fragelosen „Parzival“, der von den anderen einer Fragetherapie unterzogen wird, bis dann unkontrolliert Wortmüll aus ihm hervorbricht.

Die Parzival-Figur läßt sich als hoffnungsvolle Fortführung des Kaspars aus Handkes frühem Strück verstehen. Wurden diesem mittels Sprechfolter die gesellschaftlichen Sprechkonventionen eingetrichtert, werden jenem am Ende von einer tönenden Säule „die Stimmen aus dem armen Schädel“ geholt. Reagierte Parzival vorher kasparhaft etwa auf das Wort „Wind“ mit der Wendung „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“, antwortet er nun, „als bilde sich bei ihm mit dem Wort zugleich auch die Sache„, mit demselben Wort, aber nicht wie ein Echo: „Wind“. Wißbegierig will er - der, „seit Kleinkinderfragen vorbei“ waren, immer unwillig wurde, wenn er gefragt wurde - jetzt vom „Einheimischen“, der ihn mit der tönenden Säule geheilt hatte, gefragt werden.

Der Einheimische (Thomas Holtzmann) ist die achte, aber außerhalb der Fragegesellschaft stehende Figur von Hankes Spiel. Bei seinem ersten Auftritt trägt er eine kleine Birke im Arm, der er gut zuredet. Er beschreibt jeden einzelnen der Gruppe („Du bist der...“) und diese als Ganzes vor ihrer Abreise: „Eigentlich keine schlechte Gesellschaft: Alle Generationen miteinander, Alte, Mittelalte, Junge, ein Fastkind. Ein Idiot, zwei Königskinder, einer, dessen Güte sein unverwüstliches Schauen ist, ein nützlicher Schwarzseher, ein im Wegeauskundschaften erfahrenes Landmenschenpaar.“

Er nun, der sich selbst als „Fragetoter und Fragetot“ charakterisiert, ist die fragwürdigste, „in verschiedenen Spielarten“ auftretende Person: als Einheimischer, dem man es vielleicht nicht ansieht, „aber ich bin hier selbst ein Auswärtiger„; als Bühnenarbeiter, der zusätzliche Requisiten auf die Bühne bringt; als Soldat; als „wie ein Tempeldiener“ Geschminkter, der das gesträubte Haar glattkämmt und „zum Kellner wird“.

Die Figuren verlieren sich im Lauf ihrer Reise ins sonore Land aus den Augen. Zuerst treten sie paarweise auf, haben noch zu längeren Dialogen Zeit; dann werden sie völlig versprengt, treten auf und gleich wieder ab, gar nicht oder nur wenige Worte sprechend. Im letzten Bild finden sie, am Ziel - bei einer kleinen hölzernen Hütte, dem Palast des Fragens - angekommen, wieder zusammen. Dort wird Parzival wieder ein Fragender, der schließlich „vom Fragen erzählt“. Und „die Frage-Erzählung soll übergehen in das fragendeSpiel“.

Vom Spielverderber „als Spielleiter“ werden die Schauspieler - „das ist jetzt euer Augenblick“ - zum Darstellen aufgefordert. Doch an der Frage, wie „wir Schauspieler das Fragen auch anschaulich machen“ können, scheitern sie, ohne daran zu zerbrechen. Mit Parzifal - „dem Leib des Fragens“, der alle Zeit bei ihnen bleiben soll, „damit ihr Leute von heute vielleicht doch noch einmal das Fragen darstellen lernt“ - in den Armen tanzen sie ab, gemächlich und beschwingt. Ebenso das alte Paar, froh, nach Hause zu kommen, aber nicht ganz sicher, „ob es überhaupt schon heimgeht?“.

Der Mauerschauer und der Spielverderber, Ferdinand und Anton Pawlowitsch, haben noch Zeit, das Spiel zu resümieren: „Eine lange Reise war das“, „die Vogelfluglinie war es nicht“. Zurück bleibt der Einheimische: „Keine Fragen. Fragen verboten.“ Doch es ist ein langes Abschiednehmen, ständig tauchen Fragen in seinem stiller werdenden Redestrom auf - bis die von ihm auf der Harmonika geblasenen Töne hinter der Szene sich „als Antwort“ wiederholen.

Das Stück Handkes und Peymanns Inszenierung wollen kein Ende finden. Der letzte Akt ist eine Folge von Abschieden, von Ansätzen, das Spiel zu beenden. Ermüdend, wenn auch in einem schönen, vielleicht auch in einem handkeschen Sinn, ist diese Aufführung am Burgtheater. Claus Peymann zelebriert derart auch das Ende jeder Dramaturgie. (Fast?) ohne Striche wird das Stück als Ganzes auf die Bühne gebracht. Ein pragmatischer Entschluß wohl, der die Grenzen des Möglichen eines Theaterapparates ausmißt und von den Schauspielern alles verlangt - von Darstellern aber, die alles geben.

Die Grundfrage des Dramas, vom Spielverderber formuliert - „Aber nur das richtige Spiel läßt auch erkennen, was das Fragen ist. Und das Fragen will gezeigt werden.“ - wird vom Ensemble nicht beantwortet, sondern richtig gestellt - man könnte sagen, ihr Spiel eröffne Zwischenräume, von denen geduldige Zuschauer lernen können.

Handkes Weigerung, handwerklich ordentliche Stücke zu bauen, das heißt auch Handlungen zuzulassen, macht es Schauspielern ja nicht gerade leicht. Im Sinne Nietzsches könnte man Handkes dramatische Textvorlage als Geländer auf der Brücke über den Strom und eben nicht als Krücke für Akteure verstehen. In einem Gespräch mit Herbert Gamper sagte er: „Bei der Lektüre der griechischen Klassiker war es mir schon eine große Hilfe zu merken, daß die die Handlungen, die da auch vorkommen, nie zeigen.“

Lediglich der Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann reduziert. Die Szenenangaben, die vom Autor selbst eingeschränkt werden mit der Anmerkung, daß diese nicht immer unbedingt als „Szenenanweisungen“ verstanden werden müssen, sind selbst von einem Bühnenapparat wie dem des Burgtheaters nicht zu bewältigen. Trotzdem ist Herrmanns Bühnenlösung noch gigantisch genug - und voller action: Handkes Mißtrauen gegenüber einer Handlung erfährt in der Lebendigkeit der Dinge und des Lichtes eine Umkehrung. Eine in die Tiefe der Bühne sich zuspitzende Rampe ragt zuerst freischwebend in die von Handke geforderte „Leere“. Mit jeder Szene wandert die Bühne tiefer ins „Hinter-Land“: um „eine Biegung“, um „einen weiteren Kompaßstrich“, um „einen Meridian weiter„; Bäume, eine Parkbank, eine Kaktus, eine Statue usw. kommen Szene für Szene ins Bild, stehen zuerst großartig im Vordergrund, werden dann, um anderen Gegenständen Platz zu machen, perspektivisch verkleinert nach hinten gerückt, um beim nächsten Mal vollständig zu verschwinden; bis der „hinterste Strich des Hinterlandes“ erreicht wird, wo die hölzerne Hütte steht, umgeben von in den Himmel gewachsenen Bäumen.

Dieter Bandhauer

Peter Handke: Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land. Regie: Claus Peymann. Bühnenbild: Karl-Ernst Herrmann. Mit Therese Affolter, Uwe Bohm, Anneliese Römer. Weitere Aufführungen am 27. und 28. Januar.

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