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Für eine Große Koalition

■ Zum Angebot Modrows an die Oppositionsparteien

Modrow hat nicht nur geschickt gehandelt; er hat auch richtig gehandelt. Es wäre ein Fehler der Oppositionsparteien, das Angebot der Teilnahme in der Übergangsregierung nur als geschicktes Manöver der SED zu beurteilen. Die verlängerte Bedenkzeit bis zur nächsten Woche, die Versicherung von Ibrahim Böhme (SPD), daß an eine Koalition nach dem 6. Mai nicht gedacht sei - Signale, die zeigen, daß an eine Große Koalition in der DDR ernsthaft gedacht wird. Eine solche Koalition liegt auch in der Logik der Entwicklung. Die SED ist tatsächlich nicht mehr regierungsfähig; sie repräsentiert keinerlei Konsens, nicht einmal mehr einen innerparteilichen. Daß Modrow sich mit seiner Regierung vorsichtig vom Schicksal seiner Partei abkoppelt, ist nur folgerichtig. Faktisch ist der „runde Tisch“ zu einer Art Überregierung geworden, die den Ministerpräsidenten vorladen, Regierungsbeschlüsse revidieren und Gesetzesvorschläge vorentscheiden kann. Modrows mißglücktes Manöver, Teile der Stasi in einem Verfassungsschutz zu retten, hat die Vormacht des „runden Tisches“ stabilisiert. Faktisch haben die am „runden Tisch“ vertretenen Gruppen politische Verantwortung übernommen, ohne allerdings bislang haftbar zu sein.

Angesichts der Regierungsbeteiligung von Oppositionsvertretern die Gefahr einer „neuen Volksfront“ zu beschwören, wie es die FAZ tut, ist aberwitzig. Es geht vielmehr darum, die heraufziehende Lähmung der DDR-Politik durch einen Wahlkampf, in den die bundesdeutschen Parteien immer unverschämter eingreifen, schnell einzudämmen. Es wird ja hierzulande hingenommen - und in der DDR mußte es offenbar akzeptiert werden - daß der oberste Wahlkämpfer der CDU, Kanzler Kohl mit Modrow verhandelt, während sein Generalsekretär Rühe im Einverständnis mit Kohl Modrows Regierung stürzen will, indem er die CDU aus dem Regierungsbündnis herauszuschießen versucht. Eine Entlastung des Regierens vom Wahlkampf und von den Stragegien der Bonner Parteimanager ist unbedingt geboten. Schließlich müssen in Sachen Wirtschaftsreform, Hilfen im Gesundheitsektor und im Umweltschutz Entscheidungen getroffen werden, die grundsätzlich die Lage der Arbeiter und ihre Rechte, die die bestehenden Institutionen und Verantwortungsbereiche betreffen - Entscheidungen, die tatsächlich vom Wahlkampf freigehalten werden und zumindest vom breiten Konsens der bestehende politischen Kräfte getragen werden müssen.

Als Regierung einer Großen Koalition wäre sie geschützt vor allzu billigen Zweifeln an ihrer Verhandlungsvollmacht. Der „runden Tisch“ wäre auch entlastet. Er wäre befreit von dem fragwürdigen Hin-und-Her zwischen Großperspektiven und Klein -Klein. Er könnte endlich zum Ort der inhaltlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien werden, auch zum Ort des Wahlkampfes. Wo sonst in der DDR streiten die Parteien miteinander, klären die Inhalte ihrer Schlagworte im Streit miteinander? Über die wichtigsten Gesetzesvorhaben, über das Medien- und Wahlgesetz und auch über die Verfassungsreform ist in der Tat ein öffentlicher Grundsatzstreit von Nöten. Der „runde Tisch“ stände unter dem durchaus fruchtbaren Anspruch, nun über die Perspektiven einer reformierten DDR zu reden, die auch dann formuliert werden müssen, wenn die politische Mehrheit sich für eine deutsche Vereinigung ausspricht. Außerdem: die Große Koalition wäre in gewissem Sinn eine Antwort auf die Frage der Straße, auf den Druck der immer aggressiveren Massen: sie würde das Ende der SED-Herrschaft kodifizieren. In ihr müßte neben der strafrechtlichen Abwicklung des Stasi-SED -Staates doch auch eine Vorstellung für eine zukünftige gesellschaftliche Versöhnung entwickeln. Vor allem könnte durch eine Beteiligung der Opposition an der Regierung endlich der politische Mut entstehen, der Bevölkerung zu sagen, was sie zu erwarten hat: daß weder der Segen des westlichen Kapitals, noch die Hoffnung auf eine schelle Wiedervereinigung die Menschen davon befreien wird, daß sie nach vierzig Jahren geplanter Mißwirtschaft die Zukunft der DDR selbst in die Hand nehmen müssen.

Klaus Hartung

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