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Bundesrepublik nähert sich Giftmüll-Infarkt

Die Deponien sind voll, die Sondermüllmengen wachsen weiter an und der Mülltourismus ins Ausland wird immer schwieriger  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Gute Nachrichten haben ihre düsteren Seiten. Die guten Nachrichten: Die Seeverbrennung von Giftmüll ist endgültig eingestellt; die DDR will nicht länger das Giftmüllklo der Bundesrepbulik sein, und das Basler Umweltabkommen wird den Export der gefährlichen Wohlstandsausscheidung in die Dritte Welt zumindest erschweren. Die schlechte Nachricht: Dafür steht nun die Bundesrepublik vor dem Giftmüll-Infarkt.

Wie es um den Patienten steht, kann aber derzeit nicht einmal genau gesagt werden, ergab am Montag eine von der SPD -Bundestagsfraktion organisierte Experten-Anhörung. Selbst die Mengen des - vornehm als „besonders überwachungsbedürftige Abfälle“ - bezeichneten giftigen Drecks sind derzeit bekannt. Schätzungen bewegen sich zwischen fünf und 15 Millionen Tonnen pro Jahr - mit steigender Tendenz. Derzeit wird rund eine Million Tonnen jährlich exportiert, davon allein 657.000 Tonnen in die DDR. Dazurechnen muß man freilich eine unbekannte Menge an Giftmüll, der einfach als Wirtschaftsgut deklariert ins Ausland verschoben wird, um die höheren Deponie- oder Aufbereitungskosten in der BRD zu sparen. Die Branche ist da ebenso undurchsichtig und schillernd wie eine Öllache.

Verantwortlich für die Mengenzunahme sind die industrielle Entwicklung, verschärfte gesetzliche Regelungen und die zunehmende Verstopfung dunkler Entsorgungswege. Von einem „weiter steigenden Gefährdungspotential“ der Stoffe geht außerdem der „Bundesverband Sonderabfallwirtschaft“ aus. Er erwartet, daß künftig 70 Prozent des Sondermülls nicht mehr auf Deponien gelagert, sondern anderweitig entschärft werden müssen. Die vorhandenen Sondermülldeponien sind nahezu voll und neue nicht in Sicht.

Wie man allerdings den giftigen Resten der Konsumgesellschaft und der industriellen Produktion beikommen kann, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Einig, daß ergab die Anhörung, sind sich alle nur im billig zu habenden Bekenntnis, es müsse bereits der Anfall von Sondermüll vermieden werden. Professor Thoenes vom Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen und andere Gutachter rechnen immerhin mit einem Vermeidungspotential von 30 bis 50 Prozent durch Umstellung der Produktion und Veränderung der Erzeugnisse. Passieren aber tut wenig. Christioph Ewen vom Darmstädter Öko-Institut hat in einer „Hemmnisanalyse“ festgestellt, daß es gerade bei kleineren und mittleren Betrieben an Beratungskapazitäten und günstigen Krediten fehlt. Welche Probleme sich zudem bei der Produktionsumstellung ergeben, verdeutlichte der Oldenburger Professor Thomas Höpner: Hunderttausend Tonnen giftige Farbschlämme aus der Automobilindustrie könnten jährlich vollständig eingespart werden durch die Umstellung auf die sogenannte „Pulverlackierung“. Die Korrosionsfestigkeit ist identisch nur der Lack glänzt nicht mehr so wie bisher. Deshalb aber sind nicht einmal die Bundeswehr, Bundespost und Bundesbahn bereit, solcherart gespritzte Fahrzeuge abzunehmen und damit für Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen.

Daß sich die Industrie nicht genügend um die Folgen ihres Tuns kümmere, wie es der stellvertretende SPD -Fraktionsvorsitzende Harald Schäfer anklingen ließ, wurde von den Angesprochenen heftig zurückgewiesen. „Es gibt einiges zu tun, man läßt uns bloß nicht“, grollte Alfred Pilz vom Verband der Chemischen Industrie. Die mangelnde Akzeptanz der Bevölkerung, „geschärft durch Berufseinsprecher“ (Pilz) verhindere den Bau von Verbrennungsanlagen und neuen Deponien. Arbeitsplätze seien gefährdet, wenn die Entsorgungskosten zu hoch würden. Eine probate Lösung bot der Vertreter des „Bundesverbandes der deutschen Industrie“, Sander, an: Wären die Grenzwerte nicht so scharf, gäbe es auch nicht soviel Sondermüll. Auch der Gewerkschafter der IG Chemie regte an, die Grenzwerte des Bundesimmissionsschutzgesetzes zu „überprüfen“.

Fest steht, daß für die Giftstoffe ein Bündel von Maßnahmen nötig ist. Dazu gehören Verbote ebenso wie das Deponieren, Weiterverwenden und Verbrennen. Dies aber zu planen, ist unmöglich. Es fehlten sämtliche Daten über Mengen, Zusammensetzung und derzeitige Entsorgungsströme, beklagt der Dortmunder Umweltdezernent Bernd Reiff. Derzeit mangele es sogar an einem durchgängigen Begleitscheinverfahren für Sondermülltransporte, das die kriminelle Untermischung von Giften in Zwischenlagern verhindere. Nicht in der Verbrennung, sondern in einer stoffgerechten Aufarbeitung und Entsorgung liege die Lösung, vertreten mehrere Experten. Die fachgerechte Weiterverwertung kann allerdings paradoxerweise für neue Umweltprobleme sorgen, wurde berichtet: Bei der Alu-Verwertung entstünden allein in Niedersachsen jährlich 30.000 Tonnen Salzschlacke. Wer Alu sammelt, leiste damit gutwillig einen Beitrag zum Sondermüllaufkommen.

Die Geister scheiden sich an der Müllverbrennung. Die Industrie propagiert es als Allheilmittel; der Hamburger Umweltexperte Engelfried stuft dagegen den Stand der Technik als „zweite Stufe nach Erfindung des Lagerfeuers“ ein. Viele der Stoffe, die aus dem Schornstein quellen, sind chemisch unbekannt, ihre Gefährlichkeit nicht einmal abzuschätzen, berichten die Experten. Die Bevölkerung werde mit krebserzeugenden Dioxinen und Schwermetallen, insbesondere Quecksilber, berieselt, listete das Düsseldorfer Institut für Umwelthygiene auf und legte eine erschreckende Todesfallberechnung vor. Ganz auschließen aber mochte nicht einmal das Öko-Institut die Notwendigkeit von Verbrennungsanlagen. Die Grünen, die eine Verschärfung des Abfallgesetzes und eine „Abfallabgabe“ fordern, drücken sich um eine klare Aussage: Sie wollen das „im Einzelfall umweltschonendste Verfahren“ einsetzen, heißt es in einer Erklärung.

Grenzwerte für Sondermüllverbrennunganlagen sind auch in der derzeit von der Bundesregierung erarbeiteten Technischen Anleitung (TA) Sonderabfall nicht enthalten. Die TA Sonderabfall, mit deren Verabschiedung im Mai gerechnet wird, enthält dafür erstmalig Grenzwerte für das Sickerwasser in Deponien. Bis zu 80 Prozent der Stoffe könnten danach nicht mehr ohne Vorbehandlung deponiert werden, schätzt Herr Stolz vom Bundesumweltministerium.

Wie entschlossen die Industrie zum Widerstand gegen eine kostenträchtige Entsorgung ist, machte ein Disput deutlich. Der Gesetzgeber habe unsinnigerweise die Verwendung krebserzeugender PCB-haltiger Öle in Transformatoren verboten und schaffe nun erst Umweltgefahren, weil das hochgiftige Öl wegen fehlender Entsorgungsmöglichkeiten ungesichert in den Betrieben herumstehe, klagte der Vertreter des Bundesverbandes der Industrie. Der SPD -Abgeordnete Klaus Lennartz aber konnte andere Auskunft geben: eine neu errichtete Entsorgungsanlage stünde still, weil die Unternehmen die PCB-Öle einfach nicht anlieferten. Deshalb stieß auch der Vorschlag, das Verursacherprinzip anzuwenden und den Hersteller zur Rücknahme des Sondermülls zu verpflichten, auf Vorbehalte.

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