: Die Radler schwärmen aus
■ Reise-Radler-Übernachtungsverzeichnis sammelt Adressen für Radfahrer aus Ost und West / Angebot an Übernachtungsplätzen im Osten groß, im Westen gering
Das Frühjahr bricht an, die RadlerInnen schwärmen aus. Doch wer sich auf Fontanes Spuren zu weit in die Mark Brandenburg hineinwagt, wird am Abend so leicht keine Matratze finden. Es sei denn, in der Satteltasche steckt das „RÜV“, das Reise -Radler-Übernachtungsverzeichnis. 4.000 Adressen von Radelbegeisterten in der DDR, darunter 500 aus Ost-Berlin, sind darin aufgeführt. Sie alle haben sich auf einen Aufruf des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) gemeldet und wollen Gleichgesinnten aus West-Berlin und dem Bundesgebiet ein Eckchen in ihrer Wohnung kostenlos zur Verfügung stellen.
Doch wo sind sie, die Gleichgesinnten? WestberlinerInnen wollen offenbar niemanden in ihre heiligen vier Wände eindringen lassen. Nur schlappe 24 Leutchen sind bisher bereit, DDR-RadlerInnen aufzunehmen. Das Prinzip des „RÜV“ heißt aber Gegenseitigkeit. Wer also in Schwerin oder Erfurt seine Isomatte ausrollen möchte, muß sein Zuhause ebenfalls im „RÜV“ anbieten. Für RadfahrerInnen aus der DDR ist die kostenlose Unterkunft oft die einzige Chance, überhaupt unterzukommen, denn selbst Jugendherbergen mit Preisen von mindestens 14 D-Mark sind für sie unerschwinglich.
Doch die Aufnahme ins „RÜV“ lohnt sich nicht nur der Kontakte und der Solidarität wegen. Denn der radfahrende Besuch aus dem Süden, Osten, Norden und Westen bringt sicherlich auch viele Radeltips für das Berliner Umland mit, das für viele Westberliner bisher noch ein riesiger weißer Fleck auf der Landkarte ist.
Das „RÜV“ gibt es schon seit 1988. Etwa 900 westdeutsche RadlerInnen sind in diesem Adressen-Pool aufgenommen. West -Berlin allerdings war bis November 1989 - aus leicht nachvollziehbaren Gründen - nicht sonderlich interessant für TourenfahrerInnen, die sich der Stadt bestenfalls mit dem Rad im Gepäckwagen der Reichsbahn nähern konnten. Herr Honecker hatte die Mauerundurchlässigkeit für Fahrräder gegenüber dem Regierenden Bürgermeister Momper noch mit dem schlechten Straßenzustand begründet.
Auch wenn es auf den Straßen der DDR von Schlaglöchern wimmelt und das Rad mitten in einem Dorf schon mal im Schlamm steckenbleiben kann: Autowandern kann ja in Zeiten des drohenden ökologischen Kollapses nicht die Alternative sein. Wer also in der DDR radeln und übernachten und im Gegenzug radelnde OstlerInnen bei sich aufnehmen will, schreibe bis zum 31.Januar (Redaktionsschluß fürs „RÜV“) an: ADFC, Schillerstraße 70, 1000 Berlin 12. Telefonische Nachfragen sind dienstags und donnerstags zwischen 16 und 19 Uhr und samstags von 12 bis 14 Uhr unter 313 45 31 möglich.
Auf jeden Fall angegeben werden muß die Adresse mit Telefonnummer, die Anzahl der Schlafplätze und besondere Wünsche und Bemerkungen, zum Beispiel: nur NichtraucherInnen, nur Frauen, Garten für Camper, mit oder ohne Hund. Gleichzeitig müssen sechs Westmark (bzw. sechs Ostmark für DDRler) auf das Konto 5591 01-200 beim Postgiroamt Hamburg überwiesen werden, damit der Druck des neuen „RÜV“ finanziert werden kann. Es soll dann im Frühjahr dieses Jahres erscheinen.
Katja Niedzwezky
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