: EINE WOCHE SUIZID
■ Bereit für Buttgereit und seinen „Todesking“?
Ein Mann legt seinen Kopf zwischen die Blöcke eines Schraubstockes, langsam und konzentriert dreht er ihn mit der rechten Hand zu, bis es ihm bei fast vollem Bewußtsein den Schädel zerquetscht. Sich derart brutal - weil auch bewußt zeitlich gedehnt - selbst den Garaus zu machen, klingt zunächst nach dem Einfall eines pervertierten Hirns und alles andere als wahr und realistisch. Um ihr Leben loszuwerden, wachsen Menschen unter Umständen zu unmenschlicher Größe, es gibt eine Unzahl bizarrer und grausamer Selbsttötungen, die verfilmt auf die Leinwand gebracht, niemand als authentisch abnehmen würde. Im Regelfall verabschieden sich die Leute sanfter und schneller von ihren Angelegenheiten, ruhig, unauffällig und banal. Es gibt hundert Möglichkeiten, sich umzubringen, und vielleicht auch hundert Gründe dafür. „Was mich tötet, bleibt mein Geheimnis“ (Lacenaire) - mal davon abgesehen, interessiert es auch kaum. Der Fenstersturz in den Tod liefert der Nachbarschaft ein paar Tage Klatsch und Tratsch, eine mit Tabletten vollgepumpte Leiche vor laufendem Fernseher muß sich schon im Verwesungszustand befinden, um ein paar Zeilen zu schinden. Wer sich vor die U-Bahn wirft, kann nur hoffen, daß es auch anständig klappt: er oder sie ist ein öffentliches Ärgernis und wahrscheinlich gegenüber der BVG auch noch regreßpflichtig. Im Glücksfall post mortem ist dann in der 'BZ‘ zu lesen, daß solche Art Suizid für die Mitarbeiter der BVG eine inhumane Zumutung darstellt und lebenslang schwere Traumata verursachen kann.
Die Selbsttötung ist eher ein Unthema als ein Tabu, es wird nicht totgeschwiegen, weil es verboten ist; betretenes Schweigen tritt auf den Plan, das eigentlich von der Statistik Lügen gestraft werden sollte.
Selbsttötung ist auch nicht der Stoff für große Kinokassenerfolge, mitunter als kleiner Aufreißer, mal schmückendes Beiwerk einer tragischen Liebesgeschichte, aber bitte nicht zuviel davon. Wer Hand an sich legt, ist ein Verlierer, und den wollen die Leute im Kino nicht sehen. Auch im Horrorfilm-Genre, auf Perversionen, Grausamkeiten und Gewaltexzesse spezialisiert, findet sich kein Platz für selbstzerstörerische Gedanken/Gefühle und deren Umsetzung. Spannung, Schockeffekte und kunstvoll massakrierte Leichen haben da Vorrang; sich zu perfektionieren in der Kunst des Schädelspaltens anderer Leute mag zwar ambitioniert und unterhaltsam sein, sonderlich originell ist es längst nicht mehr. Der Psychokiller, der sein Opfer im Schraubstock einzwängt, provoziert allerhöchstens noch ein angeekeltes Gähnen, auch wenn es richtig derbe klatscht und kracht. Einen Mann zu zeigen, der sich derart grausig selbst in die Bredouille nimmt, scheint hingegen eine abwegige Idee zu sein. Warum? Doch nicht etwa, weil es unvorstellbar ist, praktisch nicht durchführbar? Jener französische Schmied hat den Gegenbeweis dafür angetreten. Tut sich da ein neuer, lang ersehnter Tabubruch auf? Buttgereits Todesking steigt von seinem Thron und bricht es mit dem Totenschädel in der rechte Hand in tausend Stücke? Nichts da.
Wer bei Buttgereits neuem Film Blut wittert, schnüffelt auf der falschen Fährte. Der Todesking liefert nicht die standardisierte Gebrauchsanleitung für ein gelungenes Do it yourself im Heimwerkerkeller. Auf Leichen müssen die treuergebenen Buttgereit-Fans auch diesmal nicht verzichten, keine Bange. Mindestens eine pro Tag ist gebongt, und die Woche hat sieben Tage. Am Donnerstag stapeln sie sich stürzenderweise von einer Brücke, am Freitag liegen zwei im Bett, und am Samstag gibt es wegen Wochenende ein paar gratis. Nicht zu vergessen die eine Leiche, die immer wieder zu sehen ist zwischen den einzelnen Episoden im Todesking, erst starr, dann zersetzen sich die Eingeweide, dann die fortschreitende Verwesung und schließlich der endgültige Zerfall im Zeitraffer - unterlegt mit einer Musik, wie sie Greenaways Hauskomponist auch nicht besser hinkriegen würde.
„Die Retter der deutschen Filmkunst“ ('Das Zitat ist uns zu Kopf gestiegen‘ - JB) wandeln weiter über mit Leichen gepflasterte Wege, nur sind links und rechts davon die Gräben nicht mehr blutgetränkt und mit Eingeweiden verstopft. Die Horrorfraktion kratzt sich am Kopf, den der Selbsttöter vom Sonntag mit Wucht immer wieder und wieder bis zum zuckenden Zusammenbruch gegen die Zimmerwand trümmert: es fehlt das Blut, es will nicht spritzen. Und dann erst die Mittwoch-Episode, der klassische Zensurschwenk: ein Mundschuß ohne heraustretenden Kopfinhalt, nur ein paar verschämte rote Blutflecke auf der weißen Parksäule. Am Samstag schließlich kein Amoklauf aus dem Lehrbuch, sondern der Versuch eines pseudodokumentarischen, experimentellen Stücks Film im Film; Kommentar aus dem Off, keine nachvertonten Schußgeräusche, keine Schreie.
Buttgereit, Drehbuchschreiber Franz Rodenkirchen und Produzent Manfred Jelinski sind ein gut aufeinander abgestimmtes Team, und sie wagen es inzwischen, sich Sachen herauszunehmen, die sie sich vor dem Kulturfels von „Nekromantik“ nicht getraut hätten. Der Todesking ist bewußt kein spektakulärer Film über Menschen, die ihren Abgang beschleunigen wollen. Der Film verhökert sein Thema nicht an ein reißerisches Schockeffekt-Kino, obwohl das sicher auch drin gewesen wäre. Der Todesking bietet keinen Halt, keine Orientierung, allein durch seine Struktur als Episodenfilm wirkt er sperrig und unzugänglich. Die Geschichten, die erzählt werden, könnten miteinander zusammenhängen, Verbindungen sind möglich, aber kein Muß, und wenn, spielen sie sich nur in der Phantasie des Betrachters ab. Die Donnerstag-Episode zeigt eine „Selbstmörderbrücke“ aus verschiedenen Perspektiven, teilweise regelrecht schwindelig machend. In die Filmsequenzen hineinkopiert sind Name, Alter und Beruf von Personen, die dort hinuntergesprungen sein könnten, eventuelle Beziehungen untereinander sind dabei nicht auszuschließen.
Auf den ersten Blick wirken die Selbsttötungsspekulationen im Todesking banal und spannungslos, weil sie jeden Zugang zu tieferliegenden Geschichten hinter den Bildern und der Psyche seiner Figuren verweigern, einige Male wirkt diese Banalität, nur am Rande mit lakonischem Humor gespickt, überanstrengt und arg konstruiert, gerade wenn sie auch in der filmischen Umsetzung nicht ganz stimmig ist. Da macht Der Todesking es einem so leicht wie ein guter Freund, der ankündigt, sich morgen umzubringen.
Nix Nöhler
„Der Todesking“ ab Freitag im Xenon und Sputnik Wedding, Premierenparty heute im Sputnik Wedding ab 21 Uhr.
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