Studentenleben im anderen Teil Deutschlands

■ Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig stellt Umfragen zur sozialen Lage und Stimmungslage von Studenten in der DDR vor

Meinungsumfragen - bisher ein absolutes Tabu in der DDR sind nach der Wende jetzt möglich. Aber auch schon in der Vergangenheit wurden entsprechende Umfragen in der DDR durchgeführt. Ihre Ergebnisse, mit einem Veröffentlichungsverbot belegt, verschwanden und verstaubten in verschlossen Aktenschränken, aus denen sie jetzt herausgeholt werden. Auch das Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ) in Leipzig macht seine Umfragen jetzt der Öffentlichkeit zugänglich. Die bisher als geheime Verschlußsachen behandelten repräsentativen Studien bieten vor allem umfassenden Aufschluß über die Entwicklung der sozialen Situation und der Stimmungslage von Studenten im zweiten deutschen Staat. Mit ihrer Hilfe läßt sich, wie der stellvertretende Leiter des ZIJ, Kurt Starke, in einem Gespräch mit der taz betonte, auch „ein sehr genaues Bild“ der Einstellungen und Werte der DDR-Studenten zeichnen“.

Noch schlechter als die Situation ihrer bundesdeutschen Kommilitonen stellt sich die soziale Lage der über 100.000 DDR-Studenten dar. Ihr Monatsbudget setzt sich aus 200 Mark staatlichem Grundstipendium plus etwa 100 Mark aus anderen Quellen zusammen. Für einen Wohnheimplatz, den drei von vier Studenten in Anspruch nehmen, sind zwar nur zehn Mark im Monat zu bezahlen. Zufrieden mit ihrer Wohnsituation aber sind sie nicht, denn laut einer Studie des ZIJ und der Karl -Marx-Universität Leipzig zur „Persönlichkeitsentwicklung im Studium“ ist „jedes Wohnheimzimmer mit drei Studenten belegt“. Insgesamt, so Starke, „lebt ein Student nicht sehr üppig und ist auf die Unterstützung der Eltern angewiesen“.

Ganz im Gegensatz zu Studenten vor allem in West-Berlin ist ein Job parallel zum Studium in der DDR die Ausnahme. Angesichts der übermäßigen Stoffülle und eines straffen Pflichtprogramms mit über 25 Stunden Anwesenheitspflicht in den ersten Semestern bleibt da auch keine andere Wahl als die völlige Konzentration auf das Studium. Zu kurz kommt dabei zwangsläufig das selbständige Studieren. Offensichtlich wirkt sich dieses massive Pflichtpensum jedoch eher hemmend auf die Studienleistungen aus, denn, so die Leipziger Studie, „eine nicht bestandene Prüfung in den unteren Studienjahren ist die Regel“. Trotz dieser unerquicklichen eigenen Lage haben für die Studenten in der DDR globale Fragen wie Umweltschutz, der allerdings erst seit Beginn der achtziger Jahre als Problem registriert wurde, oder Friedenssicherung Priorität vor der Verbesserung ihrer eigenen sozialen Situation.

Äußerst positiv stellt sich dagegen das Verhältnis von Lehrenden zu Studenten dar: im Durchschnitt 1:5. Hier erwartet Starke aber demnächst eine deutliche Verschlechterung. Erstaunlich hoch mit über 50 Prozent liegt der Frauenanteil unter den Studierenden. Er nimmt allerdings ebenso wie im Westen beim Lehrpersonal - besonders stark bei den Professoren - rapide ab und entspricht nach Auffassung Starkes „keineswegs einer Normalverteilung“.

Auch politische Einstellungen und Meinungen von Studenten sind vom ZIJ in der Vergangenheit erforscht worden. Der Zeitpunkt, zu dem sich an den DDR-Unis wieder ein verstärktes Interesse an politischen Fragen zu regen begann, fällt nach den Erkenntnissen Starkes zusammen mit dem von Gorbatschow initiierten Aufbruch in der Sowjetunion.

Die Studenten ordnen sich trotz der Bankrotterklärung des real existierenden Sozialismus in der DDR, dies besagen jüngste Untersuchungen des ZIJ, im politischen Spektrum als links ein. Ein rechtes Potential, so die Einschätzung von Starke, findet sich nicht. Zum Ausdruck kommt dies etwa darin, daß knapp 80 der angehenden Akademiker dafür plädieren, die DDR solle in der Zukunft den Weg eines besseren und reformierten Sozialismus einschlagen. Sie träumen, wie es eine Ökonomiestudentin aus Leipzig formulierte, von einer „souveränen DDR, in der die Ideale des Sozialismus nicht aufgegeben werden“. Für einen kapitalistischen Weg votieren dagegen nur fünf Prozent. Deutschtümelei und Kniefälle vor der Westmark lassen sich in Studentenkreisen denn auch fast gar nicht antreffen. Vielmehr befürchten fast drei Viertel von ihnen, daß die DDR von der Bundesrepublik vereinnahmt wird, und über 40 Prozent sprechen sich vehement gegen eine Wiedervereinigung aus.

Die Identifikation der Studenten mit dem SED-Staat lag, so die Ergebnisse mehrerer Studien, bis in die Mitte der achtziger Jahre bei Null. Sogar die Heimatliebe der FDJ -Studentenfunktionäre ließ sehr zu wünschen übrig. Nur zwei Prozent fühlten sich ihrem Staat stark verbunden. Bewirkt hat dies, so die Umfrageergebnisse, vor allem die in den Augen der Studenten völlig unglaubwürdige Informationspolitik in der DDR. Geglaubt wurden die Informationen in den Medien in den siebziger Jahren zwar noch von acht Prozent, am Ende der achtziger Jahre war es mit Glaubwürdigkeit von Meldungen dann jedoch völlig vorbei. Übrig blieben, so Starke, „nur ein paar ganz Dumme, die nichts durchschauten“. So ist es auch nur konsequent, daß unter den Punkten, die Studenten vor der Wende verändert haben wollten, noch vor der Reisefreiheit die Informationspolitik mit Abstand an erster Stelle stand.

thol