: Eine schweinische G Geschichte
■ Als „armes Schwein“ werden gemeinhin Mitmenschen bezeichnet, denen im Leben nicht viel Glück beschieden ist. Das entspricht durchaus dem traurigen Dasein dieses tierischen Vorbildes. Für des Menschen täglich Wurstbrot leidet das Schwein saumäßige Qualen. Dabei ist so ein Borstenvieh von Haus aus ein intelligentes und quietschfideles Wesen. Einen Blick in den Saustall wirft
PETRA DUBILSKI.
Ach Susi, du arme Sau! Was hat man dir bloß angetan! Eingezwängt in ein enges Gehäuse, links ein Brett, rechts ein Brett an deinen zarten rosa Flanken, das Ringelschwänzchen traurig um das Gitter geschlungen und die Schnauze wundgerieben an den Metallstangen vor dem Futtertrog. Die Augen von Entzündungen gerötet und die kurzen Beine auf dem Betonboden von Arthritis versteift, hängst du dumpf im engsten Lebensraum, den ein Mensch ersinnen kann.
Susi hat beileibe kein schweinisches Einzelschicksal. Etwa 800 Millionen Artgenossen auf Gottes kranker Erde geht es mehr oder weniger ebenso schlecht. Und das, obwohl das Schwein eines der ältesten Haus- oder besser Stallgenossen des Menschen ist.
Vor nahezu achttausend Jahren wurde das Schwein erstmals in Mesopotamien domestiziert. Hoch geachtet war das Borstenvieh vor allem im Iran, in Palästina und in Ägypten - Mohammed möge seinen Anhängern verzeihen. Es war nicht nur ein beliebter und leckerer Fleischlieferant, sondern wurde durch seine Wühl- und Tretarbeit zum Pflügen der Felder genutzt. Voraussetzung für die Schweinehaltung war natürlich eine seßhafte Lebensweise. Erst als die Hebräer, die als Halbnomaden keine Schweinezucht betreiben konnten, in dieses Gebiet einzogen, wurde durch deren Einfluß der Genuß von Schweinefleisch abgelehnt, mit dem Argument, das Schwein sei der Sitz von unreinen Geistern. Die islamischen Völker übernahmen später diese Speiseregeln und machten sie im Koran zum Gesetz (2.Sure Vers173).
Nicht ganz geheuer war das Schwein auch anderen Völkern. Die Kariben beispielsweise mochten deshalb kein Schweinefleisch essen, um nicht so kleine Augen zu bekommen wie diese. Eine nur scheinbar lächerliche Furcht, schließlich haben Schweine eine ähnliche Gewebestruktur wie Menschen. Heutzutage werden Schweineherzklappen als gewebeverträgliches Implantat herzkranken Menschen eingesetzt. Und sehe sich einer mal die Leute an, die fast ausschließlich Schweinefleisch essen, was in der Zeit des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders keine Ausnahme war: rund, feist, von rosiger Gesichtsfarbe und mit kleinen Augenschlitzen. Dazu passend gab es ja auch einen Bundeskanzler. Passend zur Wirtschaftswunderzeit, versteht sich.
Nichtsdestotrotz haben auch die klassischen Schweinefleischesser in Mitteleuropa dem Viech mehr Bedeutung zugemessen als nur die des Bratwurstlieferanten. Bei den Germanen war das Schwein als Opfertier äußerst beliebt und machte als Kultmahl zu Ehren der mütterlichen Erdgottheit und der Fruchtbarkeitsdämonen eine wohlgefällige Karriere. Und bevor der Frosch zu diesem Zwecke in Mode kam, galten sie zudem noch als Barometer: Wenn Schweine zum Beispiel Stroh in ihre Schlafstätte schleppten, war Regen oder ein Kälteeinbruch angesagt. Ihre psychische Sensibilität war geradezu berühmt: Wenn Ärger anstand, quietschten sie bereits vorher ganz aufgeregt herum und ergriffen mit Vorliebe die Flucht. Und, so erzählt der Volksglaube, ein Schwein, das in einen Stall gebracht wurde, in dem sich jemand erhängt hatte oder wo sonstiges Ungemach geschah, legte sich einfach deprimiert nieder. Wer also einem glücklichen Schwein begegnete, so die konsequente Schlußfolgerung, hatte demnach nichts Böses zu erwarten, hatte Schwein. Und wer gar von Schweinen träumte, dem stand das pure Glück ins Haus.
Der christlichen Kirche war das, wie alles, was sich ihrem Zugriff entzog, höchst suspekt. Sie setzte das Gerücht in die Welt, daß Schweine die Reittiere von Hexen und Teufel seien und daß verwünschte Seelen - beispielsweise von Ehebrecherinnen und Wucherern - in Schweine einfahren. Was den Seelen sicherlich nicht viel ausgemacht hätte. Schließlich ging es den Schweinen in damaligen Zeiten rundum wohl: Sie fraßen alles mit großem Vergnügen, sie wußten genau, wo die feinen Sachen vergraben waren; was man sich heute bei der Trüffelsuche und der Drogenfahndung zunutze macht. Sie suhlten sich auf Wiesen und im Schlamm mit sichtlicher Freude am eigenen Dasein, sie tollten miteinander herum, besprangen sich - nicht ohne vorher ein ausgedehntes erotisches Vorspiel zu betreiben - mit heftigster Wollust und reichlich häufig. Und die Eber unter sich trösteten sich mangels Sau auch mal ganz ungeniert miteinander. „Uns ist ganz kannibalisch wohl, als wie fünfhundert Säuen“, ließ Goethe in seinem Faust die lustigen Gesellen singen. Ja, wo kommt die Christenheit denn auch hin, wenn sie sich einfach nur sauwohl fühlt! Soll der Herr Matthäus (Bibel-Autor, d.Red.) seine Perlen doch für sich behalten, die er nicht vor die Säue werfen will!
Das Schwein bedeutete aber auch Reichtum für seine Besitzer. Und das war des Schweines Untergang. Denn wer Borstenvieh hatte, hatte auch in dunklen Winterzeiten immer etwas zu essen. Die Tiere vermehrten sich schließlich schneller als anderes Vieh und waren vor allem billiger zu halten. Das Sparschwein, weit verbreitet in der Plastik- und Porzellanausführung und durch Robert Lemke („Welches Schweinderl hätten's denn gern?“) zu Fernsehruhm gekommen, zeugt noch heute von dieser materialistischen Haltung.
Mit vermehrtem Fleischkonsum mußte die Schweinezucht denn auch rationeller werden. Also wurde auf Teufel komm raus manipuliert. Erreichten die Schweine um 1700 erst nach fünf Jahren als frei herumlaufende Weidetiere ihre Schlachtreife und lieferten dann herzhaftes Fleisch, kamen sie 200 Jahre später schon nach einem Jahr zum Metzger, schön fett, weil um 1900 noch niemand auf die Idee kam, Kalorien zu zählen. Heute ist so ein Schwein schon nach 175 Lebenstagen schlachtreif, hat dafür auch zwei Koteletts mehr, ist ziemlich fettarm, aber im Schinken üppig und auf jeden Fall wegen der geringeren Investitionskosten preiswert.
Vom Sauwohlfühlen kann allerdings keine Rede mehr sein. Eingepfercht auf engstem, meist lichtlosem Raum, ohne Bewegung und vollgestopft mit Medikamenten, fristet ein Mastschwein sein kurzes Dasein als purer Fleischlieferant. Und selbst das nicht unbedingt zur Freude der Verbraucher. Durch hormonelles Aufschwemmen schrumpft das Schnitzel in der Pfanne zu einem geschmacklosen Nichts zusammen, und der Chemiegehalt ist höher als der vielgerühmte Vitamingehalt des Schweinefleisches.
Durch die profitträchtige und für den Menschen arbeitserleichternde Haltung ist das sensible und intelligente Borstenvieh nämlich äußerst streß- und krankheitsanfällig geworden. In den engen Schweinebuchten fangen sie an, sich aus Frust gegenseitig die Schwänze anzuknabbern. Statt ihnen mehr Platz zuzugestehen, spritzen ihnen die Schweinehalter Psychopharmaka, um sie ruhigzustellen. Beliebt sind u.a. auch Hormone Glucocorticoide -, die nicht nur das Wachstum fördern, sondern auch verhindern sollen, daß die Viecher auf dem Transport zum Schlachthof den gefürchteten Streßtod sterben. Das Cortison bewirkt zudem eine stärkere Wasserbindung im Körper, was das Verkaufsgewicht erhöht, das Fleisch aber wäßrig und bleich werden läßt. Zusätzlich verdeckt es Symptome von bestimmten Infektionskrankheiten, für die die solcherart gehaltenen Schweine besonders anfällig sind. Deshalb erfreuen sich auch Antibiotika großer Beliebtheit bei Schweinezüchtern. Für leidenschaftliche Schweinefleischesser können diese Antibiotoka im Falle einer Infektion bedauerlicherweise fatale Folgen haben.
Susi, dicke Susi, wie fern sind für dich doch die säuischen Zeiten! Aber ein Trost bleibt dir, traurige kleine Wutz. Dein Leiden wird nicht umsonst sein und deine Rache süß: Freue dich über all die Menschen, die sich einen knusprigen Schweinebraten auf den Teller knallen, in ein saftiges Leberwurstbrot beißen oder sich eine würzige Currywurst reinziehen: Sie alle werden sich mit Psychopharmaka, Antibiotika, Beta-Blockern und Hormonen und nicht zuletzt durch Überfettung zu Tode fressen!
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