: Lümmeln im Palast
■ Veranstaltungsreihe „Palast total“ in Berlin-Mitte: Iros, Gruftis, Punks, Altrocker und Kids aus Ost und West genießen Honeckers Protzpalast
Die Zeiten der hautnah zu beobachtenden Eigenheiten der DDR neigen sich allmählich dem Ende zu. Wer noch einmal live erleben will, wie staatlich gelenkte Jugendkultur präsentiert wird, der sollte heute oder morgen in den Palast der Republik gehen. „Palast total“ heißt die Veranstaltungsreihe, die noch bis Samstag Konzerte, Ausstellungen und Dance-Shows vereint. Daß das Ambiente des „Palazo Prozo“ mit seinem Marmor, Glas und Plastikpomp so gar nicht dazu passen will, macht den besonderen Reiz dabei aus. In Honeckers - nach der Mauer - bekanntestem Bauwerk, das das Volk sofort zur „LAST der Republik“ erklärte, hat alles den ungeliebten Beigeschmack von SED und FDJ.
Im weltweit einzigen Veranstaltungszentrum mit integriertem Parlament (der Volkskammer) schlagen die deswegen verordneten Sicherheitsmaßnahmen voll auf die jederzeit unter Kontrolle zu haltende Stimmung durch. Ordnungskräfte im „Stasi-Remember-Outfit“ überwachen mit skeptischem Blick jede dem Haus ungebührliche Verhaltensweise. Nur - die Szene strotzt vor Selbstbewußtsein: „Stalinistin was!“ herrscht ein Grufti eine der Aufpasserinnen an. Die wollte ihn nicht ins Parkett des nur halb gefüllten großen Saales lassen, weil „bei ihnen eben 'Rang‘ auf der Karte steht“. Auf der Hauptbühne wechseln sich derweile die Bands bis Mitternacht ab. Rio Reiser singt seine bis vor kurzem hier verbotenen Lieder. „Halt dich an deiner Liebe fest“, kontern zwei Schwankende vor mir mit Stasi-Mielkes bekanntem Spruch: „Ich liebe euch alle“.
Im Foyer glänzt der Marmorboden - Blumenkübel duften - und in den weinrot gehaltenen Ledergarnituren lümmeln sich angetrunkene Langhaarige. Der Barmann mit Fliege schenkt dem Punker mit Iro ein Glas „Blauer Sekt“ ein, und eine Palastwache flucht über eine ausgetretene „Karo„-Kippe auf dem teuren Teppich. Im 4.Stock spielt das geniale New Phantastic Art Orchester of North mit schrägen Tönen gegen die Meister-Propper-Atmosphäre an, und um Mitternacht rufen die Aufpasser den letzten Gästen fordernd zu: „Es ist Schluß, verlassen Sie bitte den Palast“.
Wer also die wahrscheinlich letzte Möglichkeit nutzen möchte, Kultur pur im Prunkbau der nun woanders einsitzenden Genossen zu erleben, kann sich heute abend dort unter anderem die Kreuzberger Punkband Test-Bild-Tester reinziehen.
top
Eintritt: 10 Mark Ost.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen