: Dörfler zwingen West-Berlin in die Knie
■ DDR-Deponien Schöneiche und Vorketzin von Anwohnern den ganzen Tag blockiert / Berliner Stadtreinigung blieb auf 2.500 Tonnen Müll sitzen / Senat fordert sofortigen Abbruch der Blockade / Demnächst ist eine dreitägige Blockade von Deponie-Anwohnern geplant
Jetzt drohen neapolitanische Verhältnisse. Weil die DDR -Deponien Schöneiche und Vorketzin von Anwohnern blockiert wurden, blieb die Berliner Stadtreinigung (BSR) gestern auf dem größten Teil ihres Mülls sitzen. Der Senat reagierte nervös. Senatssprecher Kolhoff bat die Demonstranten, ihre Blockade-Aktion abzubrechen, „damit die objektiven Probleme nicht auf dem Rücken der Westberliner Bevölkerung ausgetragen werden“. An einem „ökologischen Müllkonzept“ werde mit „Hochdruck“ gearbeitet, versicherte der Sprecher. Betriebe-Senator Wagner (SPD) ließ es sich nicht nehmen, erneut „die Vertragstreue der DDR“ anzumahnen.
Seit morgens um sechs Uhr standen die Schöneiche-Anwohner aus Gallun, Kallinchen und Schöneiche gestern vor dem Deponietor. Bis 22 Uhr wollten sie - wie geplant durchhalten. Am Mittag schlossen sich auch die Bürger aus Ketzin der Aktion an und verriegelten die Zufahrt zur Deponie Vorketzin. Im Radio hatten sie von der Absicht der BSR erfahren, die Mülltransporter nach Vorketzin umzulenken. „Wir haben spontan reagiert“, sagte Joachim Wendel von der Ketziner „Bürgerinitiative 89“ zur taz.
Von den 3.300 Tonnen Hausabfällen, die die Stadtreinigung gestern in der Stadt einsammelte, mußte sie 2.500 Tonnen bunkern. Lediglich die Transporter, die die BSR am frühen Morgen Richtung Vorketzin schickte, konnten dort ihre Fuhren mit insgesamt 800 Tonnen Müll ungestört abladen. 25 Laster, die die BSR am frühen Morgen nach Schöneiche losgeschickt hatte und die dann nach Vorketzin umgelenkt wurden, mußten auch dort wieder umkehren und kehrten vollbeladen zurück nach West-Berlin. Die BSR sagte daraufhin alle weiteren Transporte ab. Die Bauschuttfuhren nach Schöneiche hatte der Senat von vornherein zurückgehalten, nachdem die taz die Blockadepläne publik gemacht hatte.
Für eine befristete Übergangszeit hatten es die Anwohner in Schöneiche und Vorketzin bislang akzeptiert, daß Westberliner Hausabfälle auf den Deponien abgekippt werden. Giftmüll sowie Abfälle aus Westdeutschland wollten sie auf den undichten, kaum gesicherten Kippen hingegen nicht mehr dulden. Die Schöneicher fordern außerdem einen sicheren Betrieb der für Westabfälle bestimmten Sondermüllverbrennungsanlage (SVA) am Ort. Der Schöneicher Blockadebeschluß richtete sich in erster Linie gegen die DDR -Regierung. Sie hat bis heute nicht auf einen Beschluß reagiert, den die Ortsparlamente Mitte Dezember gefaßt hatten.
Senatssprecher Kolhoff beruhigte die Anwohner gestern mit dem Hinweis auf die letzten Messungen in der SVA, die sehr gute Werte erbracht hätten. Die Giftmüllmenge, die bisher in Vorketzin abgekippt wurde, will der Senat in den nächsten Wochen um die Hälfte verringern. Öl-Wasser-Emulsionen würden schon ab „kommender Woche“ in einer Anlage in Niedersachsen aufbereitet werden, kündigte Umweltsenatorin Schreyer an; ab Mitte Februar könne dann die SVA Schöneiche 10.000 Jahrestonnen Giftmüll übernehmen.
Auch BSR-Chef Fischer will kurzfristig helfen, den „verständlichen Ärger“ in Schöneiche zu dämpfen. Als er hörte, daß die Dörfler ihren eigenen Müll nicht auf die benachbarten Großdeponien bringen dürfen, sondern in den Wald kippen müssen, kam dem BSR-Chef eine Idee: Die BSR könnte dort doch die Müllabfuhr übernehmen. Sie würde Mülltonnen aufstellen, einmal die Woche den Abfall einsammeln und ihn auf die Westdeponie bringen.
Joachim Wendel aus Ketzin kündigte gestern trotzdem eine gemeinsame „Großaktion“ an: Dann wollen die Schöneicher und Ketziner drei Tage lang die Westmüllkippen blockieren. Das ist gut kalkuliert: Die Westberliner Müllbunker, so BSR-Chef Fischer, „reichen für zwei bis drei Tage“.
hmt
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