: Apfelkrieg u um's Wachskleid
■ Der europäische Gesamtapfel hat einheitlich glänzend zu sein, fordern die Brüsseler EG-Kommissare. Aber da ist die Bonner Regierung vor. Zwar dürfen hierzulande Äpfel mit allerlei Gift behandelt werden. Aber Wachs kommt den Bundesdeutschen nicht auf die Schale.
Harte Kämpfe an der Apfelfront meldet
HORST TAUBMANN.
Um manches Tafelobst vor Fäulnis und vor allem Wasserverlust auf langen Transportwegen oder Lagerzeiten zu schützen und um es appetitlich glänzend zu machen, wird es mit künstlichem Wachs behandelt, obwohl die Früchte in der Regel eine eigene, natürliche Wachsschicht entwickeln. Die einzigen Länder, in denen es ausdrücklich verboten ist Tafelobst, insbesondere Äpfel, künstlich zu wachsen, sind die Bundesrepublik und Schweden. In allen anderen Ländern fehlt ein solches Verbot oder ist das Wachsen expressis verbis erlaubt. In den USA ist das Konservieren mit Wachssubstanzen sogar zwingend vorgeschrieben, wenn Äpfel innerhalb des Landes von Staat zu Staat oder ins Ausland geliefert werden.
In einige Länder dürfen nur gewachste oder mit Lack behandelte Äpfel importiert werden, was häufig zu grotesken Arrangements führt. So müssen zum Beispiel Tafeläpfel aus Norddeutschland, die für Spanien bestimmt sind, den Weg über Südtirol nehmen, wo sie in Spezialanlagen gewachst und, neu verpackt, weiter transportiert werden.
In die Bundesrepublik dürfen dem Gesetz entsprechend gewachste Äpfel auch nicht importiert werden. Aber an den Grenzen wird nur stichprobenweise kontrolliert. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der deutschen Fruchtimporteure versichert jedoch, daß inzwischen kaum noch gewachstes Tafelobst in die Bundesrepublik gelangt. Ausländische Großhändler würden bei Äpfeln, die für die Bundesrepublik bestimmt sind, von sich aus auf das Wachsen verzichten. Zudem würden in Ländern wie Südafrika und Neuseeland auch ohne Verbot Äpfel nicht mehr gewachst. Chile und Argentinien bringen nur noch rote Äpfel mit Wachs auf Hochglanz. Dennoch sind auch solche Früchte hin und wieder in deutschen Obstgeschäften zu finden.
Daß die Importe solcher Äpfel bisher nicht ganz verhindert werden konnten, liegt daran, daß man einige dieser Wachse durch Analysen nur schwer von den natürlichen Wachssubstanzen unterscheiden kann, die die Äpfel von Natur aus auf ihrer Schale entwickeln. Allerdings werden entsprechende Kontrollen sowieso eher lax gehandhabt, da man annimmt, daß diese Stoffe gesundheitlich unbedenklich sind. Sie bestehen nämlich im wesentlichen aus Naturstoffen, wie beispielsweise Bienenwachs oder Wachsverbindungen, die der Carnaouba-Baum, ein Tropengehölz, liefert. Daneben werden Benzoeharz, Candelillawachs, Mastix- und Sandarakharze oder Schellack verwendet, Stoffe, die alle von tropischen Gewächsen stammen und eine natürliche konservierende Wirkung haben.
Da es sich bei diesen Substanzen nicht um chemische Konservierungsmittel handelt, unterliegen sie nicht dem Lebensmittelrecht, sondern ihre Verwendung wird von der sogenannten Zusatzstoffzulassungsverordnung geregelt. Die erlaubt aber zum Beispiel, daß Zitrusfrüchte mit diesen Wachsen behandelt werden dürfen, und - bemerkenswerterweise
-auch ohne Mengenbegrenzung Zuckerwaren. Nur Obst, das sich ansonsten viel Chemie gefallen lassen muß, darf mit solchen Wachsen nicht behandelt werden, was sich in diesem Kontext reichlich absurd ausnimmt.
Seit über einem Jahr nun liegt bei der EG-Kommission in Brüssel ein Antrag ausländischer Fruchtimporteure vor, mit dem die Bundesrepublik gezwungen werden soll, ihr Einfuhrverbot für gewachstes Tafelobst aufzuheben. In einem entsprechenden „Abmahnschreiben“ hat die Kommission die Bundesregierung ganz schön in Aufregung versetzt. In Brüssel nämlich ist man im Einvernehmen mit dem internationalen Obsthandel der Meinung, daß das bundesrepublikanische Einfuhrverbot gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, weil es den freien Warenverkehr in der EG behindert. Das Bundesernährungsministerium aber besteht darauf, daß hierzulande Tafelobst weiterhin ungewachst auf den Markt kommt. Denn es gäbe weder eine ernährungsphysiologische noch eine technische Notwendigkeit, Äpfel auf diese Weise zu konservieren. Die eigene, natürliche Wachsschicht sei, so wird betont, völlig ausreichend. Äpfel, so läßt das Bonner Ministerium verlauten, „benötigen zu ihrer Qualitätserhaltung keine Nacherntebehandlung mit Überzugsmitteln“. Ein Argument, für das man in Brüssel offensichtlich keine Ohren hat.
Um sich gegen ein weiteres Dreinreden der EG zu wappnen, ist wiederum das Gesundheitsministerium tätig geworden. Es hat das Bundesgesundheitsamt in Berlin beauftragt zu überprüfen, ob solche Lacke und Wachse als Zusatzstoffe auf Obst nicht doch zu gesundheitlichen Bedenken Anlaß geben. Aber solche komplizierten Verfahrenswege brauchen offensichtlich ihre Zeit. Das Bundesgesundheitsamt jedenfalls hat bisher noch keine Stellungnahme zu den einzelnen Stoffen abgegeben. Es sieht sich dazu auch außerstande, weil für eine experimentelle Überprüfung im Hause keine Möglichkeiten bestünden und die Antragsteller keine eigenen Untersuchungsdaten geliefert hätten. Das sei das Amt nämlich von den Unternehmen gewöhnt, die um Befunde und um die Zulassung neuer Produkte nachsuchen. An eine toxikologische Bedeutung dieser Wachse mag man ohnehin nicht mehr glauben: Dieses Problem hält man - im buchstäblichen Sinne - schon lange für gegessen. Denn die fraglichen Überzugsstoffe werden seit Jahren ja schon tonnenweise mit den Zuckerwaren mitverzehrt, denen sie „in unbegrenzter Menge“ appliziert werden dürfen. Und von Gesundheitsdefekten bei Lollypop-Lutschern, die sich auf diese Überzugsmittel zurückführen ließen, habe man noch nichts gehört.
Gleichwohl hat sich das Bundesgesundheitsamt den anfragenden Ministerien gegenüber inzwischen geäußert: Auch im BGA hielte man das Wachsen von Obst für „unnötig“ - der Begriff „Denaturierung“ wird wohlweislich vermieden -, und es wird auf die landläufige Erfahrung verwiesen, daß Äpfel schon von Natur aus eine schützende Wachsschicht mitbringen und somit nicht mehr zusätzlich gegen Verderb oder Austrocknung geschützt werden müssen.
Das Problem ist damit jedoch nicht vom Tisch. Denn es wird auch eingeräumt, daß diejenigen, die Handelsobst wachsen, es offensichtlich auch nötig haben. In vielen Erzeugerländern nämlich muß das Obst, um Beläge von Pflanzenschutzmitteln und Emissionsschmutz zu entfernen, mit fettlösenden Detergentien gewaschen werden, wodurch die natürliche Wachsschicht zerstört wird. Und dann muß nachgewachst werden, damit das Obst Lagerung und Transport übersteht.
Ein Zulassungsdilemma also: Man entfernt Spritzmittelreste, toxische Substanzen, die - davon kann man ausgehen - ihre Zulassungspapiere haben, darf aber Äpfel nicht nachwachsen mit Stoffen, die man auf Bonbons bedenkenlos mitessen darf.
Der wissenschaftliche Lebensmittelausschuß der EG -Kommission, der jetzt über die Wachsfrage zu befinden hat, wird es sich nicht nehmen lassen, auf die Ungereimtheiten zu verweisen, die in der deutschen Zusatzstoffzulassungsverordnung stecken. Und er wird EG -konsequent entscheiden, daß die Bundesdeutschen EG-konform eine „Nacherntebehandlung mit Überzugsmitteln“ bei Obst zu dulden haben, nach dem Prinzip, daß jedes EG-Land die Produkte zuzulassen habe, die in anderen Ländern rechtmäßig hergestellt werden. So kann man damit rechnen, daß im Zuge der europäischen Binnenmarkt-Harmonisierung bald auch das schön auf Hochglanz gewachste und gelackte Tafelobst anderer Länder in deutschen Landen frisch auf den Ladentisch kommen darf. Der Europäische Gerichtshof, mit dem die Bundesrepublik gelegentlich Scherereien hat, wird das schon so richten.
Bonn, das nämlich hin und wieder wegen diverser Umweltvergehen vor dem EG-Kadi steht, sieht sich diesmal wegen einer „guten Sache“ angeklagt, und niemand macht sich mehr Illusionen darüber, daß der Hinhaltekrieg im Namen des sauberen deutschen Apfels anders ausgehen könnte als seinerzeit das Bierscharmützel: So wie nach dem EG-Urteil nunmehr das „unreine“ Auslandsbier in deutsche Kehlen strömen darf, wird bald auch für zusatzbehandeltes Tafelobst das Importverbot aufgehoben werden müssen.
Eine Hoffnung bleibt aber den Deutschen, nämlich daß ausländische Importeure verpflichtet werden können, Äpfel mit Überzugsmitteln so zu kennzeichnen, daß sie sich von deutschem, also „reinem“, Erntegut hinlänglich unterscheiden. Aber einen solchen Sonderwunsch nach einer Kennzeichnungspflicht EG-weit durchzusetzen, wird schwer sein. Hier hat man einschlägige Erfahrungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen