: Legale Abtreibung vor spanischem Gericht
Lebensschützer zeigte Ärzte an, die einen vermutlich strahlengeschädigten Fötus abgetrieben hatten / Indikationslösung von 1985 völlig unzureichend / Zunehmend klandestine Abtreibungen / Öffentliche kontroverse Debatte bringt auch PolitikerInnen in Zugzwang ■ Aus Barcelona Nikolas Marten
Ein aufsehenerregender Abtreibungsprozeß hat die seit Jahren schwelende Diskussion um das Für und Wider eines vorzeitigen Schwangerschaftsabbruchs in Spanien neu entfacht. Der Fall wird seit Mittwoch vor dem Obersten Gericht der Provinz Navarra in Pamplona verhandelt. Es ist das erste Mal, daß sich Mediziner nach der 1985 verabschiedeten Gesetzesnovelle unter diesem Paragraphen vor Gericht verantworten müssen. Seitdem läßt die spanische Rechtsprechung nur in drei Ausnahmefällen die legale Abtreibung zu: Akute gesundheitliche Gefährdung der Mutter; mögliche Mißbildung des Embryos und bei Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung. Einem dreiköpfigen Ärzteteam wird zur Last gelegt, ungesetzlich eine Abtreibung vorgenommen zu haben.
Vor vier Jahren war die damals 19jährige Silvia Cuevas aufgrund eines schweren Nierenleidens 15mal mit Röntgenstrahlen behandelt worden. Weder sie noch die behandelnden Ärzte wußten von der kurz darauf diagnostizierten Schwangerschaft. Nach eingehenden Untersuchungen kam der angesehene Radiologe des städtischen Krankenhauses von Pamplona „Jungfrau der Straße“ zu dem Ergebnis, daß der inzwischen sechs Wochen alte Fötus mit einer radioaktiven Strahlung von elf Rem verseucht war. „Leukämie, Gehirnanomalien und körperliche Mißbildungen“ waren nach Ansicht des Mediziners Calvo „nicht mehr auszuschließen“. Am 21.2.1986 fand die Abtreibung statt.
Eine anonyme Anzeige rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan, die ihre Ermittlungen bald wieder einstellte. Doch Mitte letzten Jahres waren es die rechtskonservativen Vereinigungen „Accion Familiar“ und „Pro Vida“, die ihrerseits Anklage erhoben. Sie gelten als Ableger des katholischen Laienordens Opus Dei, auch bekannt als die „Priestergenossenschaft vom heiligen Kreuz“. Die Kläger fordern für jeden der Mediziner zwölf Jahre Haft, 14 Jahre Berufsverbot und zudem je 35.000 Mark Bußgeld.
Am ersten Prozeßtag bemängelten die Vertreter der Anklage „ungenügende Untersuchungen“ und das „Fehlen weiterer ärztlicher Gutachten“, während die Verteidigung eingehend die „akute Gefährdung für das Leben des Föten“ unterstrich. Vor dem Gericht demonstrierten mehrere Tausend, vorwiegend Frauen, für „die Freiheit des Bauches“ und die völlige Annullierung des „frauenfeindlichen Gesetzes“. Kleinere Grüppchen von Abtreibungsgegnern versuchten zum Teil gewalttätig, die friedliche Kundgebung zu stören. Das angeklagte Mediziner-Trio erhielt in den letzten Tagen zahlreiche Solidaritätsadressen, so eine Unterschriftenliste von 10.000 beamteten Ärzten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), eine gemischte Gruppe des Europaparlaments sowie über 30 nationale Organisationen veröffentlichten Kommuniques zugunsten der Angeklagten.
Auch PolitikerInnen debattieren unter dem öffentlichen Druck über das überholte Gesetzeswerk. Sprecher der „Vereinigten Linken“ (Izquierda Unida), der drittstärksten Fraktion im spanischen Parlament, forderten gestern Entscheidungsfreiheit für die Frauen in jeder Hinsicht. Eine Anwältin der Ärzte meinte, „wir brauchen diesen Prozeß, um die Schwäche und Sinnlosigkeit der hiesigen Rechtslage zu entlarven“. Verbal zeigte sich gestern auch die Regierung überraschend reformfreudig. Dolores Renau, Frauenbeauftragte der Regierung, kündigte an, neue Gesetzesüberlegungen reichten bis zu dem Punkt, daß „die einzige Einschränkung für einen Abbruch in einer zeitlichen Begrenzung liegen wird“.
Gedanken, die für viele Frauen zu spät kommen. Denn allein im letzten Jahr wurden nurmehr 18 Prozent von über 100.000 Schwangerschaftsabbrüchen in Spanien auf legalem Wege unternommen. Die Partei „Euskadiko Ezkerra“ veröffentlichte Zahlen, die besagen, daß nur fünf (!) von 2.900 Abtreibungsersuchen stattgegeben wurde, Frauen so „gesellschaftlich, ökonomisch und gesundheitlich in den Ruin, ins Abseits getrieben werden“.
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