: Vom „Koma-Saufen“ zum „Linke-Klatschen“
Seit Wochenbeginn wird in Ravensburg gegen 24 Skinheads wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch verhandelt / Nach einem Besäufnis waren die rechtsradikalen Jugendlichen vors Jugendzentrum gezogen und hatten Konzertbesucher zusammengeprügelt ■ Aus Ravensburg Holger Reile
In der Auslage eines Ravensburger Military-Shops dominieren deutschnationale Sticker und Aufkleber: „Deutschland den Deutschen“. „Deutschlandpower“ und - Gruß nach Leipzig „Deutschland einig Vaterland“, natürlich in den Grenzen von 1937. Durch die Stadt stiefeln seit Montag kurzgeschorene und glatzköpfige Skins aus nah und fern, um „mal zu sehen, was da für 'ne Scheiße mit den Kumpels läuft“.
Nicht nur optisch ist das schon ein bunt durcheinandergewürfelter Haufen, der da seit Wochenanfang vor der Jugendkammer des Landgerichts Ravensburg im Schwörsaal des historischen Waaghauses auf der Anklagebank sitzt. 24 Skinheads, darunter drei Frauen, alle zwischen 15 und 30 Jahre. Auf Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung lauten in der Hauptsache die Vorwürfe gegen die Skins.
Sie sollen in der Nacht des 9.September vergangenen Jahres „nach Art eines Rollkommandos“ das Jugendhaus in Ravensburg überfallen und mehrere Besucher im Anschluß an ein Rockkonzerts verprügelt und zum Teil schwer verletzt haben. Die meisten der Angeklagten kommen aus Friedrichshafen, Ravensburg, Saulgau und aus dem Nürnberger Raum.
In einem Flugblatt, das von der etwa 15köpfigen Saulgauer Skinhead-Gruppe erstellt und verteilt wurde, war letztes Jahr im süddeutschen Raum bekanntgegeben worden, daß am 9.September ein großes Skinhead-Treffen - „II. Koma-Saufen“ genannt - bei Ravensburg stattfinden werde. Schon am 12.August wurde dafür bei einem Bundesligaspiel des VFB Stuttgart massiv geworben.
Etwa 200 Skins hatten sich dann am Abend des 9.September am Häcklerweiher hinter Ravensburg, einem bekannten Szene -Treffpunkt, versammelt. Neben Skins aus Süddeutschland waren auch Gesinnungsgenossen aus dem gesamten Bundesgebiet dabei, auch aus Frankfurt und Hannover. „Für fünf Mark Eintritt“, sagte am Montag einer der Angeklagten, „konnte man saufen, soviel man wollte“. Innerhalb kürzester Zeit brach unter den Skins Streit aus, teilweise gingen sie mit Tränengas aufeinander los. Kurz vor Mitternacht soll über Lautsprecher die Aufforderung ergangen sein, nach Ravensburg ins Jugendhaus zu fahren. Dort könne man „Punks und Linke klatschen“. Dies sei besser, „als sich gegenseitig plattzumachen“.
Etwa sieben PKWs, vollbepackt mit besoffenen Skins, fuhren dann im Konvoi nach Ravensburg. Mit Parolen wie „Rotfront verrecke“ und „Sieg Heil“ stürzten sich etwa 30 Skins auf einige Jugendhausbesucher und schlugen mit Stöcken und Knüppeln auf sie ein. Mehrere wurden verletzt, am Jugendhaus gingen Fensterscheiben zu Bruch, geparkte Autos wurden demoliert.
Der Vorsitzende Richter Dieter Rittmann hatte bei Prozeßbeginn sichtlich Mühe, den tieferen Sinn verschiedener Aussagen zu begreifen. Von „Linke abklatschen“, was soviel heißt wie Andersdenkende niederzuprügeln, war immer wieder die Rede. Ein anderer erklärte, er habe „schöne Instrumente“ im Wagen gehabt: Gemeint waren Knüppel und Baseballschläger, mit denen die außer Rand und Band geratene Meute ihre Opfer malträtierte. Ein Nürnberger Skin räumte ein, doch „einiche Elfmeder hinglecht“ zu haben. Richter Rittmann konnte nicht folgen: „Saget se mal, könnet se au Hochdeutsch?“ Die „hingelegten Elfmeter“ entpuppten sich schließlich als mit der Stiefelspitze abgetretene Autospiegel.
Die ersten beiden Verhandlungstage schleppten sich mühsam dahin. Zum großen Teil gaben die Angeklagten an, sich nicht mehr richtig erinnern zu können, weil man Unmengen von Bier getrunken habe. Nur zwei Skins gaben zu, bei „dem Streß nicht lange gefackelt“ zu haben. Ansonsten will keiner der Angeklagten einen anderen bei Prügeleien beobachtet haben. Wenn sich einer mal in die Ecke getrieben fühlte und sich in permanente Widersprüche verstrickte, mußte wiederum der Bierkonsum herhalten: „25 Dosen sicher und auf der Anfahrt auch schon ordentlich.“
Offensichtlich ist auch der Gruppenzwang: Die 24 Skins sitzen in U-Form, jeder eng neben dem anderen, mit permanentem Blick- und Sprechkontakt. Einige hatten bei ihren polizeilichen Aussagen die Kumpels belastet, nun aber wollten sie davon nichts mehr wissen.
Bei einer Hausdurchsuchung eines Saulgauer Skins wurde neonazistisches Propagandamaterial gefunden. Bei den sichergestellten Gegenständen war auch ein T-Shirt mit dem Konterfei Adolf Hitlers. Auch gegen einen Nürnberger Skin läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Tragens faschistischer Symbole. Die Kontakte der Angeklagten sind entsprechend: Die meisten sympathisieren offen mit der NPD und der DVU. Aus dieser Ecke bekamen letztes Jahr die Friedrichshafener Skins, denen der Zutritt zum dortigen Jugendhaus „Molke“ verwehrt wurde, massive Unterstützung. NPD-Landesbüroleiter Paul Weber schrieb an die Jugendhausleitung: “...lasse ich diese jungen Leute von Ihnen nicht in unverschämter Weise als 'Nazis‘ beschimpfen, nur weil sie diverse Aufnäher (Ich bin stolz, Deutscher zu sein) an ihrer Kleidung tragen. ... Sie können versichert sein, daß ich in Zukunft ein wachsames Auge auf die 'Molke‘ richten werde, bevor sie zur Kaderschmiede irgendwelcher Ideologie wird.“ So ist es auch kein Zufall, daß viele der oberschwäbischen Skins bei NPD oder DVU-Veranstaltungen als Ordner auftreten.
Die Angeklagten nehmen das Verfahren nicht allzu ernst. Da wird gefeixt und gelacht: „Hast du meinen Krüppel von Anwalt gesehen.“ In den Verhandlungen bespricht man sich mit „Kumpels“ - im Schutz der Gruppe wächst auch der Kleinste einen halben Meter. Inzwischen werden auch Prozeßbesucher genauer unter die Lupe genommen. Drei Auswärtigen wurden gestern Klappmesser und Gaspistolen aus den Bomberjacken gezogen. Der Prozeß ist auf 15 Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil wird Ende Februar gerechnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen