Bakunin führt zum Sieg!

■ Herbert Wehners im Juli 1926 erschienener Beitrag wurde von uns gekürzt

Hallo, Prolet! Halte einen Augenblick inne mit deiner Beschäftigung und denke an einen Mann, dessen Namen du vielleicht nicht kennst, der es aber wert ist, daß du ihn dir merkst. Höre das wenige, das ich dir sagen will, um dich anzuregen, dem Manne nachzufolgen. Und die Zeit, die du mir schenkst, wird nicht verloren sein, denn es geht um die Befreiung des Proletariats vom Joch der Lohnsklaverei, es geht um die Erringung eines freien Lebens. Wer aber meint, es bedürfe dieses Streitens nicht, der lese diese Zeilen nicht, sie sind nicht für ihn geschrieben. Es geht alle die an, die Hunger haben, und die den Hunger nicht nur notdürftig stillen wollen. Die nach der Freiheit, dem Kommunismus Sehnsüchtigen sollen lesen, denn ihnen tun Bakunins Worte und Taten not, und meine Arbeit ist Bakunin gewidmet.

Es gibt Zeiten, da das Proletariat sich befreit von den Doktrinen, die es für gewöhnlich zügeln. Dann strömt die zurückgehaltene Glut aus, und die Menschen werden größer, als sie vordem waren. Und diese Zeiten sind die herrlichsten. Schöpferkraft wird lebendig und mancher leistet Dinge, die er erst nicht bewältigen konnte. Doch der Rausch währt nicht ewig, oft folgt ein Katzenjammer. Daß es so ist, liegt nicht zuletzt an den irrigen Ideen, von denen die Arbeiter befangen sind. Wenn sie zur Tat schreiten, dann setzen sie sich in Widerspruch zu dem, was sie vorher gelehrt erhielten, und dieser Widerstreit zwischen Denken und Handeln schafft eine Unsicherheit, an der der schönste Enthusiasmus zerbröckeln muß. Wir rufen auf zur revolutionären Tat, doch wir wollen auch, daß Denken und Tun zusammenpassen. Solange Theorie und Praxis nicht harmonieren, wird das Proletariat unfähig sein zum Aufbau des Sozialismus. Revolutionäre Tat erfordert Revolutionäre. Wir setzten uns die Aufgabe, Revolutionäre zu sammeln, um gerüstet zu sein. Denn wir können zwar das Erscheinen der Revolution nicht kommandieren, aber wir können in Bereitschaft stehen, damit wir sofort auf den Posten eilen können, wenn die Stunde gekommen ist.

Michael Bakunin, dessen Todestag sich am 1. Juli zum 50. Male jährte, war einer, der erkannt hatte, daß nur der gewaltsame Umsturz dem Kapitalismus ein Ende bereiten würde. Sein ganzes Leben wandte er an, die gefundene Erkenntnis unter den Arbeitern zu verbreiten. Immer war er bereit, die Konsequenz seiner Worte zu ziehen, zu jeder Stunde ging er in den Kampf, wenn es notwendig war. Ich will ihn selbst sprechen lassen über den Staat:

„Er garantiert immer, was er findet: den einen ihren Reichtum, den anderen ihre Armut; den einen die auf dem Eigentum beruhende Freiheit, den anderen die Skalverei, die unselige Folge ihres Elends; er zwingt die Elenden, immer zu arbeiten und sich töten zu lassen, damit jener Reichtum der Reichen zunehme und gesichert sei, welcher die Ursache ihres Elends und ihrer Sklaverei ist. Das ist die wahre Natur und die wahre Aufgabe des Staats.“

Was folgt daraus? Unser Kampf muß sich gegen den Staat richten, auch gegen den demokratischen. Denn die Freiheit, die uns gelassen wird, ist eine kärgliche; sie kann außerdem durch Justiz und Belagerungszustand wieder genommen werden. Gegen jeden Staat müssen wir anrennen, um als Menschen leben zu können. Viele Arbeiter glaubten zu Bakunins Zeit, daß die Staatsmacht vom Proletariat erobert werden müsse. Diese Ansicht ist noch heute die dominierende.

urch parlamentarische Wahlen wollen sich die Sozialdemokraten in den Besitz der „Macht“ setzen. Aber es ist eine trügerische Macht, die den Arbeitern keinen Nutzen bringt. Bakunin zeigt, daß es wichtiger sei, sich zu vereinen zur Zerstörung des Staates und zur Eroberung der Wirtschaft. Wenn wir im Besitze der Betriebe sind, dann haben wir ein realeres Unterpfand wirklicher Macht, als wenn wir uns auf Parlamentsaktionen verlassen. Alle Revolutionen bestätigten die Richtigkeit der Behauptung.

Wäre die sozialistische Bewegung Bakunin gefolgt, wir ständen heute nicht an dieser Stelle, ein gewaltiges Stück wären wir dem Ziele näher.

Alle Revolutionäre wollen wir sammeln zur revolutionären Tat. Bakunins Geist kann uns dabei helfen. Mit seiner Unterstützung überwinden wir die Dogmen, die sich wirklich der revolutionärer Einheit in den Weg stellen. Heran denn! Lange genug sah es dürr und öde aus in der Arbeiterbewegung.

Haltet ein mit eurer Arbeit! Denkt nach! Die Not wächst, und es geht nicht an, die Augen vor ihr zu verschließen. Ganze Menschen werden gebraucht, die vorbehaltlos sich dem Dienste der Freiheit widmen. Es ist der einzige Dienst, der nicht unwürdig ist. Keiner sei träge! Es kommt alles auf uns an. Mit Inbrust müssen wir fechten, damit das Werk gelinge. Unser Wille wird Berge versetzen. So kann ich auch schließen mit einem Wort Bakunins: „Glauben, das bedeutet: mit Leidenschaft wollen.“