„Ich will kein geteiltes Südafrika“

Brief Nelson Mandelas an die südafrikanische Regierung  ■ D O K U M E N T A T I O N

„Schon lange hat mir die zunehmende politische Krise in unserem Land Sorgen bereitet. Im nationalen Interesse halte ich es nun für absolut zwingend, daß ANC und Regierung sich treffen und einen effektiven politischen Vertrag aushandeln. Ich muß betonen, daß ich diesen Schritt ohne vorherige Beratung mit dem ANC unternehme. Ich bin ein loyales Mitglied des ANC. Würde alles 'normal‘ verlaufen, dann würde ich zuerst meine Ideen meiner Organisation mitteilen. Würden sie akzeptiert, könnte der ANC entscheiden, welche Mitglieder die Sache am besten verträten und wann dies geschehen sollte. Unter meinen jetzigen Bedingungen kann ich mich nicht so verhalten. Das ist auch der einzige Grund, eigeninitiativ zu handeln. Ich hoffe, meine Organisation wird mein Vorgehen unterstützen.

In diesem Zusammenhang muß ich ganz deutlich sagen, daß mein Schritt keine Antwort auf den Ruf der Regierung ist, der ANC solle doch erklären, ob und daß er nationalistisch ist und sich von der Südafrikanischen Kommunistischen Partei lossagen, bevor überhaupt Verhandlungen beginnen können. Kein Freiheitskämpfer läßt sich von der Regierung vorschreiben, wie er den Freiheitskampf zu führen hat. Meine Intervention ist rein den innenpolitischen Zuständen geschuldet: dem Bürgerkrieg und Ruin, in den das Land langsam rutscht. Ich bin zutiefst beunruhigt - wie sicherlich viele andere SüdafrikanerInnen auch - bei dem Gedanken an ein Südafrika, das in zwei feindliche Lager zerfällt, in Schwarze auf der einen, Weiße auf der anderen, die sich gegenseitig abschlachten. (Mandela benutzt den Terminus „schwarz“ in einem weiteren Sinne für alle Nicht -Weißen, d. Red.) Beunruhigt durch Spannungen, die man fast überall im täglichen Leben verspürt und die schon Schatten werfen auf zukünftige gewalttätige Zusammenstöße. Diese Krise zwang mich zum Handeln.

Die Haltung des ANC zur Gewaltfrage ist ganz einfach. Der ANC hat kein bestimmtes Interesse an Gewalt. Immer hat er Aktionen, die das Leben von Menschen und das Eigentum des Volkes bedrohen, abgelehnt. Lange und geduldig hat er für einen ungeteilten und friedlichen, nicht-rassistischen Staat gearbeitet. Allerdings betrachten wir den bewaffneten Kampf als Form der Selbstverteidigung gegen ein moralisch widerwärtiges Herrschaftssystem, das nicht einmal Formen friedlichen Protestes zuläßt. Seit den frühen Tagen seiner Geschichte hat der ANC nach friedlichen Lösungen gesucht und geduldig mit all den südafrikanischen Regierungen geredet eine Politik, die wir bis hin zur heutigen Regierung verfolgen. Die Regierung hat nicht nur unseren Wunsch nach einem Treffen ignoriert, sie hat auch unser Bekenntnis zum gewaltfreien Widerstand benutzt, um das Land mit einer beispiellos gewalttätigen Unterdrückung zu überziehen. Es gilt hier nochmals zu betonen, daß in den letzten vier Jahrzehnten, und ganz besonders in den letzten 26 Jahren, die Regierung nur mit Gewalt auf unsere Forderungen antwortete und so gut wie nichts tat, um ein Klima des Dialogs herzustellen.

Das weiße Südafrika muß endlich die simple Tatsache akzeptieren, daß der ANC den bewaffneten Kampf solange nicht suspendieren, geschweige denn beenden wird, wie die Regierung nicht ihre Bereitschaft signalisiert, ihr politisches Monopol aufzugeben und direkt und mit gutem Glauben Verhandlungen mit anerkannten schwarzen Vertretern beginnt. Das Abschwören der Gewalt auf seiten der Regierung wie des ANC sollte Ergebnis von Verhandlungen und nicht Vorbedingung dieser sein.

Außerdem weisen wir die Behauptung zurück, der ANC sei von der Kommunistischen Partei Südafrikas dominiert. Das ist einzig und allein Teil der Verleumdungskampagne, die die Regierung gegen uns fährt. Die Zusammenarbeit zwischen dem ANC und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) geht bis in die 20er Jahre zurück. Sie war und ist strikt begrenzt auf die Zusammenarbeit im Kampf gegen rassische Diskriminierung und für eine gerechte Gesellschaft. Zu keinem Zeitpunkt hat der ANC den Kommunismus adaptiert oder mit ihm kooperiert. Die marxistische Ideologie tritt in den Hintergrund, wenn Kommunisten sich als Mitglieder des ANC am Anti-Apartheid-Kampf beteiligen. Im Lauf der Jahre hat die SACP die Führungsrolle des ANC akzeptiert. Dies tun auch alle SACP-Mitglieder, die dem ANC beitreten. Im ANC hat sich daher die Tradition gefestigt, jedem Versuch aus jedweder Ecke zu begegnen, die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen zu unterminieren. Kein wirkliches ANC -Mitglied wird solche Rufe nach einem Bruch mit der SACP unterstützen. Das wird als reine Spaltungs-Strategie der Regierung angesehen.

Indem die Regierung an den oben genannten Bedingungen für Gespräche festhält, demonstriert sie zugleich, daß sie keinen Frieden in diesem Land will, sondern Unruhe. Daß sie keinen starken und unabhängigen ANC gebrauchen kann, sondern eine schwache und servile Organisation, die sich mißbrauchen läßt, die weiße Minderheitenherrschaft aufrechtzuerhalten. Ja, Sie wollen einen ANC, der Satellit des Westens und bereit ist, den Interessen des Kapitalismus zu dienen. Kein Führer einer Befreiungsbewegung wird sich jemals Bedingungen, von einem vermeintlich siegreichen Kommandeur mit einer herablassenden Geste an den geschlagenen Feind diktiert, unterwerfen.

Schlüssel zu jeglichem Fortschritt ist ein ausgehandeltes Übereinkommen. Ein Treffen zwischen der Regierung und dem ANC wird der erste zentrale Schritt hin zu einem bleibenden Frieden in Südafrika, besseren Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten, Zutritt zur Organisation Afrikanischer Staaten, Wiedereintritt in die UNO, Zugang zu internationalen Märkten wie generell verbesserten internationalen Beziehungen sein. Dieses Übereinkommen mit dem ANC und die Entwicklung einer nicht-rassistischen Gesellschaft ist der einzige Weg, unser reiches und schönes Land von dem Stigma zu befreien, das die Welt so abstößt.

Bei einem Treffen werden zwei Themen genannt werden: erstens die Forderung nach einer Mehrheitsregierung in einem geeinten Staat und zweitens die Bedenken und Ängste, die das weiße Südafrika wegen ersterem hegt und daher strukturelle Garantien fordert, daß Mehrheitsregierung nicht schwarze Dominanz über die weiße Minderheit bedeutet. Es wird sicherlich der entscheidende Punkt für ANC und Regierung sein, diese zwei Positionen zu versöhnen. Und Versöhnung kann es nur dann geben, wenn beide Seiten zu Kompromissen fähig und willens sind.

Wahrscheinlich braucht man dafür mindestens zwei Phasen. Eine erste, in der ANC und Regierung zusammenarbeiten und die Vorbedingungen für ein Klima, das Verhandlungen trägt, ausarbeiten. Bisher haben beide Seiten einfach ihre Bedingungen für Verhandlungen ausposaunt, ohne sie direkt aufeinander zu beziehen. Die zweite Phase wären dann die der eigentlichen Verhandlungen - falls die Zeit reif dafür ist. Jeder andere Zugang birgt die Gefahr einer Sackgasse in sich, aus der wir nicht mehr rauskommen.

Zu guter Letzt will ich betonen, daß mein Schritt Ihnen die Möglichkeit eröffnet, den momentanen Stillstand zu überwinden, um die politische Situation Südafrikas zu normalisieren. Hoffentlich ergreifen Sie die Gelegenheit ohne große Verzögerungen. Ich glaube fest daran, daß die überwältigende Mehrheit der SüdafrikanerInnen, ob schwarz oder weiß, hofft, daß ANC und Regierung eng zusammenarbeiten, um die Fundamente einer neuen Ära für unser Land zu legen. Einer Ära, in der Rassendiskriminierung und Vorurteile ebenso vergessen sein werden wie Zwangsherrschaft und Konfrontation, wie Tod und Zerstörung.

Dieser jetzt veröffentlichte Brief ist ein historisches Dokument. Er wurde vom inhaftierten ANC-Führer Nelson Mandela an Südafrikas ehemaligen Staatspräsidenten Pieter W. Botha geschickt, bevor beide letzten Sommer ihre Gespräche begannen. Der Brief ist das erste umfassende politische Statement Mandelas seit seiner berühmten Rede im Rivonia -Prozeß 1964 und setzte die „Verhandlungen über Verhandlungen“ in Gang, die das Regime in Pretoria mit der ANC-Führung im Exil aufnahm - via Nelson Mandela. Das gekürzte Dokument entnahmen wir der jüngsten Ausgabe der südafrikanischen Wochenzeitung 'Weekly Mail‘ (26.1.-1.2.)