: Literar. Woche im Kino / Ab heute: „Die Gottesanbeterin“
■ Märchen for lovers
Die Schönheit der Apothekerin ist alarmierend. Sie ist der Faden durch den Film, oder das Märchen? Denn die Apothekerin Meunier ist Liebende und todbringende Fee in einer Persona. Einfach, geradlinig verfolgt der Film ihren einsamen, männerverzehrenden Lebensweg, doch anders als das Böse im Märchen ist die Lust zu Töten nicht Ausdruck ihrer Niedertracht. Das Böse ist ihr Schicksal: in Gestalt bösartig konservativer Eltern, des Wärters, der ihre Zellengenossin Esmaralda vergewaltigt, bis sie stirbt, der zynischen Behördenhengste und der wispernden Hausnachbarinnen, die die unabhängig wirkende Schöne mit Blicken traktieren.
Das Böse ist Ausweg der Meunier. Durch einen Ehemann kann sie sich nicht legitimieren, begehrt sie doch niemand als ihren Bruder und den haben sie ihr natürlich weggenommen. Fremdenlegion in Brasilien, sonst käme das Märchen nicht in Gang. Ihr Ausweg heißt Lustmord. Dessen Versionen breitet das Drehbuch farbenprächtig vor uns aus: Von der schnieken Annoncenbekanntschaft über den nicht fetten Transi-Showstar bis zum Lustknaben im Herbst-Park - sogar der nazimäßige Spürhund des Amtes für Gesundheit - ihr aller Herz setzt aus inmitten ihrer Geilheit. Elegant, nie gierig führt sie den Tod herbei. Denn als patente Person hat sie Spass am Beruf auch im Privaten; Gift mixt sie nämlich. Ihre Anti-Herz -Tropfen vermittelt ihr Zungenkuß, während sie selbst geschützt ist durch eine neutralisierende Tinktur. Am Apothekentresen empfielt sie überflüssige Präparate gegen die behördenbekämpfte, unerklärliche Männerseuche. Natürlich kommen sie ihr auf die Spur, die Anti-Aidskampagne führt direkt zum Weibe, klar. Ob sie ihnen entkommt ins ewig -langweilige Glück romantischer Liebe, das soll niemand wissen.
„Die Gottesanbeterin - Georgette Meunier“, ist der Erstlingsfilm von Tania Stöcklin, DFFB Berlin. Der Metropolenstreß ist Stöcklins Film nicht anzumerken. Ruhig und stetig, ganz sparsam geschnitten, verschnellert sich das Tempo zum Schluß. Durch liebevolle Auswahl der Drehorte entsteht der Eindruck eines Nosferatu-Städtchens, mittelalterlich karg, immer vernebelt, düster. Die Geschichte scheint, an keine Epoche gebunden, märchenhaft unhistorisch, weil Bevölkerung, Behörde und die Liebenden nicht durch Dekor umgeben sind. Spannend sind Ton und Musik: schräges Cello, hastige hölzerne Stöcke, Volksweisen wie Basler Faßnacht. Ein sehenswerter Film für die letzten, dunklen (erotischen?) Winterabende... gür
Cinema, 29.1.-1.2., 18.45
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