piwik no script img

Journalisten wollen neuen Anfang machen

■ Der Journalistenverband der DDR distanziert sich von alter Medienpolitik, entschuldigt sich beim Volk, schließt den früheren Medien-Oberaufseher Joachim Herrmann aus und bereitet sich auf die Unterstützung künftig arbeitsloser Kollegen vor

Berlin (dpa) - Der Verband der Journalisten der DDR (VDJ) hat sich zu konsequenter wahrheitsgetreuer Berichterstattung bekannt und um Entschuldigung für die frühere Verherrlichung einer stalinistisch geprägten Politik gebeten. „Wir distanzieren uns von jeder Bevormundung, dem Entstellen und Verschweigen von Tatsachen, wie sie bis zum Herbst 1989 alle Medien unseres Landes beherrschten“, heißt es in einer auf dem außerordentlichen VDJ-Kongreß in Ost-Berlin verabschiedeten Erklärung der rund 400 Delegierten.

Bis dahin hätten DDR-Journalisten am Bild eines Scheinsozialismus mitgemalt - mehr oder weniger willig, mehr oder weniger gezwungen. Einige Mutige hätten Berufsverbot erhalten, andere sich angepaßt. „Journalisten wurden durch die Verherrlichung der stalinistisch geprägten Politik mitschuldig an den Deformierungen der Gesellschaft. Dafür bitten wir um Entschuldigung.“

Maßgeblich für die frühere Medienpolitik Verantwortliche wurden ausgeschlossen, unter ihnen das ehemalige SED -Politbüromitglied Joachim Herrmann.

Die Delegierten beschlossen, den Verbandsnamen beizubehalten. Mehrheitlich sprach sich der Kongreß für ein Streikrecht für Journalisten aus. Num neuen Vorsitzenden wurde der Rundfunkjournalist Gerd Kurze gewählt (siehe Interview). Der Zentralvorstand wurde beauftragt, kurzfristig über die Bildung eines „Unterstützungsfonds für arbeitslose Journalisten“ zu beraten. Beschlossen wurde auch die Rehabilitierung gemaßregelter Journalisten, darunter des ehemaligen VDJ-Vorsitzenden Rudi Wetzel.

„Wir können nicht alles einfach von heute auf morgen abschütteln“, sagt ein DDR-Journalist, als ein Zuhörer nach der plötzlichen, offenbar für manche nicht ganz überzeugenden Wende in den DDR-Medien fragt. „Man steht jetzt vor der Bestandsaufnahme seines Lebens.“ Alle waren Mitglied einer Partei, ohne die sie nicht ihre Arbeitsplätze bekommen hätten. „Wir wußten alle, worauf wir uns einließen. Ich bin CDU-Mitglied. Ich habe immer versucht, keine Unwahrheiten zu schreiben, aber ich bin ein Meister im Weglassen geworden“, gibt eine Redakteurin des 'Demokrat‘ zu.

„Wenn Sie das alles gewußt haben, warum sind Sie dann Journalist geworden?“ fragt ein Zuhörer. „Ich glaubte, wirklich etwas bewegen zu können“, sagt ein Redakteur. Und ein anderer Radio-Redakteur meint, jeder habe sich eben seine Nischen und Spielräume gesucht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen