: Entzogenes Geheimnis
■ Georg K. Glaser las in BHV aus seinem Buch „Geheimnis und Gewalt“
Georg K. Glasers Lesung in der Volkshochschule Bremerhaven war die bestbesuchte Veranstaltung der Literarischen Woche in Bremerhaven, und der - aus Paris angereiste - fast 80jährige Autor wird das große Interesse an seinem dichterischen Lebensbericht „Geheimnis und Gewalt“ wie eine späte Rehabilitation erfahren haben. Nachdem sein Buch 40 Jahre lang trotz verschiedener Auflagen und positiver bis euphorischer Stellungnahmen einiger Schriftstellerkollegen beim Publikum keine Beachtung fand, scheint jetzt endlich seine Zeit gekommen zu sein.
Glaser erzählt die Geschichte einer Befreiung von kollektiver Bevormundung, von allen Glaubensformeln und Erlösungsversprechen, denen Menschen sich auf der Suche nach Geborgenheit unterwerfen. Sein Protagonist Valtin Haueisen bricht als Jugendlicher mit dem gewalttätigen Vater - er verkörpert die Gewalt par exellence -, lebt auf der Straße, landet in Erziehungsheimen, schließt sich der Kommunistischen Partei an, arbeitet 1933/34 im Widerstand und flieht nach Paris. Als Soldat der französischen Armee gerät er in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der er sich kurz vor Kriegsende befreien kann.
„Die Geschichte Haueisens trägt Züge der Passionsgeschichte, die eines Rebellen, der zwischen die Lager totalitärer Parteien gerät“, schrieb Michael Rohrwasser in seinem Nachwort zur 1989 erschienenen - und un
verstümmelten - Neuausgabe von „Geheimnis und Gewalt“, das er zu den „stofflich wie stilistisch beeindruckendsten und bedeutsamsten Büchern der Nachkriegsjahre“ zählt. Im christdemokratischen Biedermeier der 50er Jahre wollte in Deutschland-West niemand von dem Exil-Autoren hören. In Deutschland-Ost war es nicht anders, denn Glasers Geschichte ist eine scharfe Auseinandersetzung mit den stalinistischen Praktiken der Kommunistischen Partei, der er vorwirft, junge Leute in den Tod getrieben und geopfert zu haben, für sinnlose Formen des Widerstands, „die überhaupt nichts mit der Realität zu tun gehabt hatten“. Er erzählt von den „Parteidichtern“, u.a. von Egon Erwin Kisch, die ihm die mangelnde Parteilichkeit seiner Texte vorhielten. Er berichtet im Gespräch von seiner ersten großen „Erschütterung“: Die Freundin Rosa Wittvogel war als Soziologin des Marx-Engels-Instituts nach Moskau gerufen worden, sechs Monate später sei sie mit einem Genickschuß getötet worden. Die vielen Brüche führen zum Bruch mit der Partei.
Glasers Buch ist keine einfache Autobiographie. Er hat das biographische Material „verdichtet“. Aus den vielen Vorstädten, in denen er gelebt hat, hat er eine einzige gemacht, Haueisen, sagt Glaser, sei der Mensch, auf dessen Schultern er alles gelegt habe, auch die Erschießung eines Nationalsozialisten, die Glaser mitangesehen hat:“ Wir waren so. Wir haben alle geschossen und
uns geschlagen, jahrelang. Es gibt Dinge, die sind einfach geschehen.“ Das gilt auch für seinen Bericht aus dem Saarkampf 1934, als die KPD ein Parteimitglied als „Verräter“ hinrichtete.
„Geheimnis und Gewalt“, der klotzige Titel, der manche eher an Klischees als an Literatur denken läßt, ist Glaser wichtig. Er spielt an auf die übermächtige Gewalt des Vaters, die sich auf Parteien, Kollektive, Ideologien übertragen läßt. Er meint auch die Gewalt von Männern Frauen gegenüber, im Buch bewaffnete Freikorps-Soldaten, die eine Frau vergewaltigen und töten. Glaser im Gespräch: „Sie haben das Geheimnis nicht gefunden. Das Geheimnis hat sich ihnen entzogen, weil man es nicht mit Gewalt haben kann.“
1952, nachdem das Buch zum erstenmal in der BRD erschienen war, wurde Glaser von einem begeisterten Leser, Carlo Schmid, zu einer Reise durch die BRD eingeladen. Einen Empfang der Gruppe 47 schlägt er aus: „Was heißt denn das, 'Gruppe‘, und warum '47‘, warum von Null anfangen? Für mich war das so: Die 12 Jahre Gefängnis, geistiges Gefängnis, mußten als erstes überbrückt werden, und es mußte angeknüpft werden bei Tucholsky und anderen. Keine Stunde Null, kein Jahr 47.“
„Geheimnis und Gewalt“ wird heute endlich gelesen. „Geheimnis“, sagt Glaser zum Schluß des Gesprächs, „das heißt einfach Leben-wollen, das genügt doch.“ h
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