piwik no script img

Entlarvung des freundlichen Schweizers

 ■ S T A N D B I L D

(Das kalte Paradies, Mo., 29.1., 23 Uhr, ARD) Die einfachste und populärste Art, bedrückende Problemfelder wie Ausländerfeindlichkeit oder Abschiebung von Asylbewerbern filmisch zu verarbeiten, ist die humoristische. Um so lebenswerter erscheint die Absicht der ARD, in ihrer kleinen Reihe über Ausländerproblematik neben spritzigen, kurzweiligen Komödien wie dem französischen Kassenschlager Black Mic Mac von Thomas Gilou (am 5. Februar) oder kinobewährten Streifen wie Tee im Harem des Archimedes von Mehdi Charef (am 12. Februar) solch angenehm unspektakuläre Werke wie Bernard Safariks Das kalte Paradies von 1986 vorzustellen.

Zwar arbeitet Safarik in seinem stimmungsvollen Kammerspiel auch mit komischen Elementen. Besonders gelungen ist hier die Einstiegsszene im Zug, als einer Dame eine übelriechende, gelbliche Flüssigkeit auf den Kopf tropft. Der Zugführer bringt hinter der Deckenverschalung der sprichwörtlichen Schweizer Reinlichkeit einen blinden Passagier zum Vorschein, der sich verlegen mit „Entschuldigung“ vorstellt. Eine für den Film typische Tragikomik, die einem das Lachen im Halse stecken läßt.

Die Liebesgeschichte zwischen der liebreizenden Lateinamerikanerin Elba und dem Polen Jan entbehrt jeder prätentiösen Überzeichnung, die das Problem ins Melodramatische hätten abgleiten lassen. Nüchtern, beinahe holprig erzählt Safarik eine alltägliche Geschichte, die gerade deswegen zu berühren vermag, weil er auf eine dramatische, filmgerechte Zuspitzung des Asylkonfliktes verzichtet. Von vorneherein legt die Perspektive, aus der erzählt wird, fest, daß die Geschichte übel ausgeht. Um so zynischer erscheint die zur leeren Geste erstarrte Freundlichkeit der Schweizer, zum Beispiel wenn die beiden auf einem sonntäglichen Spaziergang penetrant oft gegrüßt werden. Ihre Normalität ist augenfällig; durch nichts unterscheiden sie sich von den ebenso gut gelaunten wie selbstgenügsamen Passanten. Niemand ahnt, daß es sich um Menschen zweiter Klasse handelt. Eine feinsinnig umgesetzte Beobachtung, die der Regisseur nicht ausschlachtet, sondern in ein subtiles Mosaik einpaßt, mit dem er Schritt für Schritt die Grimasse der so hilfsbereiten Freundlichkeit dieser Schweizer entlarvt.

In einer einzigen Bemerkung des Polizisten, bei dem sich Elba später nach ihrem abgeschobenen Mann erkundigt, wird die ganze Verlogenheit des „kalten Paradieses“ offenbar: Wie man in einer solchen Situation auch noch ein Kind machen könne. In diesem scheinbar beiläufigen Satz - vor allem in diesem vielsagenden „auch noch“ - kommt die menschenverachtende Kehrseite der ansonsten fast bis zur Groteske überzogenen folkloristisch anmutenden Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit gegenüber Menschen zutage, die schlicht in Not sind und das „Pech“ haben, daß sie nicht mit dem Kopf unter dem Arm nachweisen können, daß sie gefoltert wurden.

Konsequenterweise bleibt der Film offen. Elbas nette Nachbarin Ruth, die zunächst auch von dieser stereotypen Gutgläubigkeit erfüllt ist, greift schließlich zur Selbsthilfe und versteckt ihre Freundin, der ebenfalls die Abschiebung droht, auf einer entlegenen Berghütte. Ein subtiler, humaner Aufruf zur Anarchie.

Manfred Riepe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen