Berufungstango oder Professorenmacht

■ Professoren genießen eine äußerst privilegierte Stellung / Sie beherrschen die akademische Selbstverwaltung, nehmen ausschlaggebenden Einfluß auf die Organisation der Unis und Fachbereiche und berufen sich selber / Berufungsverfahren ziehen sich endlos in die Länge

„Die Professoren müssen in allen Gremien mit Entscheidungsbefugnis in Angelegenheiten der Forschung, der künstlerischen Entwicklungsvorhaben, der Lehre und der Berufung von ProfessorInnen über die Mehrheit der Sitze und Stimmen verfügen.“ (BerlHG 46 Abs.2) Untermauert durch das Hochschulrahmengesetz, zementiert durch das Berliner Hochschulgesetz, abgesichert durch von ProfessorInnen geschriebene Verfassungsgerichtsurteile sind die ProfessorInnen als Gruppe immer noch die herrschende Macht in den Universitäten.

Der Weg zurück zur Ordinarienuniversität schien in Berlin durch den Regierungswechsel gestoppt und ein Mehr an Demokratie möglich. Aber der Einfluß der professoralen Gruppe ist immer noch ähnlich stark wie der der abgehalfterten Funktionärsclique im Osten. ProfessorInnen sitzen völlig frei und lebenslänglich auf ihren Lehrstühlen, nur verantwortlich gegenüber der „scientific comunity“. Über die akademische Selbstverwaltung besitzen sie zusätzlich noch den ausschlaggebenden Einfluß auf die Organisation der Universitäten und Fachbereiche - ProfessorInnen berufen sich selber.

Wie wird man ProfessorIn?

Steht eine Berufung an - banal gesagt die Einstellung einer ProfessorIn - wird eine Berufungskommission vom Fachbereichsrat gebildet, natürlich mit Mehrheit von ProfessorInnen besetzt. Diese Kommission schreibt die Stelle aus, sammelt die Bewerbungen, ordnet diese und stellt eine Berufungsliste auf. Über diese Liste wird von der gesamten professoralen Gruppe des Fachbereiches noch einmal abgestimmt. Eingeführt wurde diese doppelte ProfessorInnenmehrheit in der letzten BerlHG-Novelle, damit nicht durch ein oder zwei Quertreiber innerhalb der professoralen Gruppe „falsche“ ProfessorInnen berufen werden. Danach geht die Liste über den Fachbereichsrat und den Akademischen Senat an die Senatorin für Wissenschaft und Forschung, Frau Professor(!) Riedmüller-Seel. Diese beruft dann auf Grundlage des Vorschlages des Fachbereiches. Allerdings ist die Senatorin nicht an diesen Vorschlag gebunden.

Traditionsgemäß liegt die Entscheidung über den Ruf beim Staat. Dadurch können neue Impulse in den Wissenschaftsbetrieb integriert werden, wozu die meisten Fachbereiche aus eigener Kraft aufgrund alter Erfahrungen nicht fähig sind. Der Vorschlag eines Fachbereiches hat jedoch mehr als nur Richtliniencharakter. In den Jahren der CDU-FDP-Regierung wurde dieses Berufungsrecht durch die Senatoren Kewenig und Turner exzessiv wahrgenommen teilweise aus objektiv wahrnehmbaren Gründen, teilweise aus politischen Gründen. Um dies an einem Beispiel zu belegen: Der einstige Wissenschaftssenator Kewenig verhinderte Hausberufungen, um die Inzucht in Berliner Wissenschaftskreisen zu verhindern, er berief andererseits aber Hilde Schramm, die hochschulpolitische Sprecherin der Alternativen Liste, nicht auf einen Lehrstuhl an der FHW, um nicht eine unangenehme Gegnerin in den Status einer Professorin zu heben.

Vor diesem Erfahrungshintergrund einigten sich die jetzigen Koalitionspartner darauf, möglichst wenig in die Berufungspolitik der Fachbereiche einzugreifen. So berief die jetzige Wissenschaftssenatorin auch nur wenige Male außerhalb der Liste. In den Koalitonsvereinbarungen steht dementsprechend: „Berufungsrecht der Senatorin: Bei Berufungsentscheidungen soll von der vorgeschlagenen Reihenfolge nur im Wege einer Mißbrauchsaufsicht abgewichen werden. Abweichungen sind zu begründen“. Inwieweit ein ständiger Mißbrauch des Berufungsrechtes der Fachbereiche infolge der völlig undemokratischen Mehrheitsverhältnisse vorliegt, wird auch in den Koalitionsvereinbarungen nicht geklärt. Nur für die Frauenpolitik will die Senatorin eine Ausnahme machen. Ein Fachbereich muß begründen, warum für den jeweiligen Lehrstuhl keine Frau in Frage kommt.

Die formale Machtstellung der professoralen Statusgruppe wird gestützt durch weitere Vorteile, die ProfessorInnen aufgrund ihrer lebenslänglichen Stellung an der Universität haben. In den Berufungskommissionen sitzt normalerweise nur eine einzige VertreterIn von StudentInnen und AssistentInnen. Die anderen Dienstkräfte haben nur Rederecht. Dadurch, daß die Arbeit in den Berufungskommissionen nicht öffentlich ist, sitzen die VertreterInnen der anderen Statusgruppen isoliert in den Kommissionen, ohne inhaltliche und formale Unterstützung von außen.

Das vorrangige Kriterium für die Listen„würdigkeit“ von BewerberInnen ist die „Wissenschaftlichkeit des Arbeitens“. Didaktik, Lehrkonzepte, die Persönlichkeit der BewerberIn haben einen geringen Stellenwert. ProfessorInnen haben somit das ausschließliche Kriterium für Berufungen festgelegt und urteilen danach. BewerberInnen müssen sich über dieses Kriterium „wissenschaftliches Arbeiten“ für den Ruf qualifizieren. Die anderen Statusgruppen müssen „bessere“ BewerberInnen empfehlen, oder sich mit sehr viel Kraftaufwand über dieses Kriterium des „wissenschaftlichen Arbeitens“ hinwegsetzen.

Alle diese Gründe bewirken, daß selbst die letzten bestehenden Freiräume von den anderen Statusgruppen nicht ausgenutzt werden. So besteht die Möglichkeit eines Minderheitenvotums, das heißt, die StudentInnen oder AssistentInnen bringen ihren eigenen Listenvorschlag mit Begründung zu Protokoll, und dieser durchläuft dann gleichzeitig mit dem Fachbereichsgutachten die Gremien und kommt dann zur Entscheidung zur Senatorin.

Berufungsentscheidungen werden noch wichtiger

Über die Personalpolitik wurde an den Hochschulen schon immer Strukturpolitik gemacht. Erst mit dem Abgang eines Professors konnte und kann darüber entschieden werden, ob das jeweilige Fachgebiet wegfällt, umbenannt oder inhaltlich neu ausgerichtet wird. Wird ein Lehrstuhl neu besetzt, heißt dies, daß das Fachgebiet die nächsten zwanzig Jahre vorhanden ist. Dies ist unabhängig davon, ob das Fachgebiet noch den aktuellen Gegebenheiten entspricht oder nicht (z.B. Beispiel Bergbau in West-Berlin), oder ob StudentInnen das Fachgebiet in Anspruch nehmen oder nicht.

Während es bisher normale Zahlen von Pensionierungen bei ProfessorInnen gab, steigt die Zahl der Emeriti ab 1993 rapide an. Bis in das Jahr 2003 werden an der Technischen Universität rund 80 bis 85 Prozent aller ProfessorInnen aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Für die Freie Universität werden ähnliche Zahlen prognostiziert. Dies ist dann der Höhepunkt einer Vergreisungswelle unter den ProfessorInnen, die 1994/95 beginnt. Die Ursache für diese kopflastige Alterspyramide liegt in dem rapiden Ausbau der Hochschulen in den 70er Jahren, als eine große Zahl von ProfessorInnen neu berufen wurde. Die Altersstruktur verschob sich dadurch. So ist der Jahrgang 1938 (Pensionsalter 2003) der zahlenmäßig stärkste. Die ausscheidenden ProfessorInnen können nicht adäquat ersetzt werden - müssen aber ersetzt werden.

Erkannt wurde dieses Problem schon früher, allerdings liefen Problemlösungsansätze ins Leere. Der bekannteste ist der Fiebiger-Plan. ProfessorInnen sollten Jahre vor der Emeritierung des Lehrstuhlinhabers neu berufen werden und mit letzterem einen Lehrstuhl gemeinsam besetzen. Dies hätte mehrere Vorteile gehabt. Die Altersstruktur wäre entzerrt, die riesigen Massen von StudentInnen wären besser betreut und wissenschaftlicher Nachwuchs herangezogen worden. Allerdings hatte der Plan keinen Erfolg. ProfessorInnen konnte es scheinbar nicht zugemutet werden, daß zwei Personen einen Lehrstuhl besetzen und dann in Teamwork arbeiten.

Wie teuer die nächsten zehn Jahre für die Hochschulen wegen dieses Problems werden, läßt sich einfach hochrechnen. Laut Auskunft des Planungsbüros der Technischen Universität erhält ein C4-Professor in den Ingenieurwissenschaften bei seiner Berufung durchschnittlich vier Wissenschaftliche MitarbeiterInnen, eine SekretärIn, fünf Stellen für technisches Personal und Investitionsmittel zwischen 100.000 DM und 1,5 Millionen DM. Die Wirtschaftswissenschaftler erhalten zwei bis drei Wissenschaftliche MitarbeiterInnen, und bei den SozialwissenschaftlerInnen sind es durchschnittlich höchstens zwei. „Sollte versucht werden, diese Altersstruktur zu entzerren und somit jetzt begonnen werden, Neuberufungen vorzunehmen, würde dies jährliche Kosten von rund 50 Millionen DM allein an der Technischen Universität betragen“, berechnete der Chefplaner der TU, Herr Schleifer. „Die technische Universität stellt sich auf diese Aufgabe ein“, führt er weiter aus. Wie die TU die Probleme aus dieser Massenpensionierung lösen will, konnte allerdings auch das Planungsbüro nicht erläutern. Und Probleme werden sich nicht nur aus den Kosten ergeben, sondern auch infolge des fehlenden wissenschaftlichen Nachwuchses. Und wenn die Konkurrenz innerhalb der ProfessorInnenschaft fehlt, steigen auch die Preise für die einzelne ProfessorIn.

Daß mit Investitionsmitteln teilweise Perle vor die Säue geworfen werden, ist in den Hochschulen nicht nur ein böses Gerücht. So verweisen BauingenieurstudentInnen auf die Plattenbiegemaschine eines Herrn Specht, Professor für Stahlbetonbau an der TU. Sie wurde aufgrund einer Berufungszusage gekauft, allerdings geschah danach nichts mehr. Sie steht bis heute ungenutzt im Institut für Stahlbetonbau.

Schleppende Berufungsverfahren

Ein weiteres Hindernis für eine schnelle Lösung dieser Problematik ist die außergewöhnliche Dauer einer Berufung. Da die Besetzung von Lehrstühlen eine der wichtigsten Aufgaben innerhalb der Universität ist, muß jedes Gremium der Universität seine Meinung dazu abgeben. Dies beginnt bei der Neuzuweisung des Lehrstuhls. Das ist eine Strukturentscheidung, und deshalb ist das Kuratorium zuständig, wobei die Entscheidung zuvor vom Akademischen Senat beraten wird. Ist die Zuweisung geschehen, beginnt die Prozedur der Besetzung, d.h. von der Berufungskommission bis zum Listenvorschlag und dann der Gremienweg vom Fachbereichsrat über den Akademischen Senat bis hin zur WissenschaftssenatorIn. Allerdings erteilt Frau Riedmüller schneller Rufe als ihre Amtsvorgänger. Bei normalem Durchlauf dauert das ganze Verfahren ungefähr 2 Jahre. Daß manche Lehrstühle allerdings bis zu 8 oder 10 Jahren unbesetzt sind, hängt nicht nur von dem langwierigen Besetzungsverfahren ab.

Ein Grund für schleppende Berufungsverfahren, der manchen Fachbereichen vielleicht böswillig nachgesagt wird, ist die Angst, daß eine neu hinzukommende KollegIn das wissenschatliche Niveau des Fachbereiches hebt und somit die Mittelmäßigkeit der KollegInnen der Öffentlichkeit vorführt. „Lieber einen leeren Lehrstuhl, als eine derartige LehrstuhlinhaberIn“, mag sich da manche ProfessorIn denken. Intrigenspiele am Fachbereich, die Angst, das ein neu hinzukommender Kollege eigene Ressourcen bekommt, spielen genauso eine Rolle, wie die jeweilige Karriereplanung der WissenschaftlerInnen.

Die ingenieur- , natur- und wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereiche müssen in Konkurrenz zur freien Wirtschaft stehen. Die Karriere der dortigen WissenschaftlerInnen ist größtenteils mit Tätigkeiten in der Wirtschaft verbunden. Dagegen steuern die Sozial- und Geisteswissenschaftler sehr direkt auf die wissenschaftliche Karriere zu. Nach der Habilitation, dem wissenschaftlichen Reifezeugnis, im Alter von über 40 Jahren, kommt diese Gruppe kaum irgendwo anders unter als in den Hochschulen. Es gehört auch zur Festigung des Renommees, die Universität häufiger zu wechseln oder einen Ruf an eine Hochschule zu erhalten. Allerdings kann dies wie bei den Wirtschaftswissenschaftlern dahingehend ausarten, daß ProfessorInnen Rufe sammeln. „Bei den Wirtschaftswissenschaftlern herrscht ein Korpsgeist, um bereits renommierten Leuten noch mehr auf die Sprünge zu helfen“, meint Schleifer. Im Ergebnis werden dadurch die Lehrstühle zum Teil über Jahre nicht besetzt und die Universität hat das Nachsehen.

Allerdings bestehen auch weite Bereiche an der Technischen Universität, die nur auf die Pensionierung ihrer ProfessorInnen warten, um dann frei von diesen Bremsklötzen alternative Studiengänge, Projektwerkstätten und autonome Seminare realisieren zu können. Aber auch die einfache Änderung von Studien- und Prüfungsordnungen, bzw deren Anpassung an Entwicklungen wäre einfacher, wenn nicht ProfessorInnen eisern über ihre Lehrstühle, ihr überkommenes Wissen und ihre jeweiligen personellen und sächlichen Ressourcen wachen würden. Gerade in solchen Umbruchzeiten sollte auch die Forderung aus dem Streik nicht vergessen werden, aus allen Professoren befristete Stellen und keine Dauerstellen zu machen. „Die intellektuelle Vergreisung würde dann nicht der altersbedingten Vergreisung signifikant vorauseilen“, wie ein anonym bleiben wollendes studentisches Mitglied einer Berufungskommission meint.

Ein letzter Gedankengang

Seit dem Ausbau der Hochschulen in den siebziger Jahren verloren die Universitäten als organisierte Formen des Wissenschaftsbetriebes immer mehr an Boden, sowohl an gesamtgesellschaftlichem Einfluß, wissenschaftlich als auch in der Lehre. Die Hochschulen wurden immer mehr als Sanierungsrücklage für marode Landeshaushalte benutzt. Die TrägerInnen und somit die Verantwortlichen dafür waren und sind die ProfessorInnen. Gleichzeitig ist der achtundsechziger Slogan: „Unter den Talaren ist der Muff von tausend Jahren“ immer noch - wenn auch ohne Talare zeitgemäß.

Erst durch den StudentInnenstreik vor einem Jahr rückten die Hochschulen wieder in den Mittelpunkt des Interesses und wurden als Ausdruck dafür wieder Zuwendungsemfänger von zusätzlichen Mitteln. Etwas Vergleichbares haben die ProfessorInnen mit ihren riesigen finanziellen Ressourcen (mehr als acht Prozent des Landeshaushaltes von Berlin fließen in die Hochschulen) nie geschafft - dies trotz StudentInnenbergen und sonstigen Miseren in Lehre und Forschung. Zusätzliche Mittel kamen niemals direkt dem Hochschulbereich zu Gute.

Warum nimmt man also das jetzt anstehende Absterben dieser Statusgruppe nicht zum Anlaß, den Wissenschaftsbetrieb radikal neu, gemäß den gesellschaftlichen Anforderungen zu organisieren - ohne ProfessorInnen! Schließlich starben auch die Dinosaurier vor Jahrmillionen aus, als sie nur noch die Erde zertrampelten und mit den anstehenden Problemen nicht mehr zurechtkamen.

Markus Bodenmüller