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Kein Markt mehr für Marx

■ Die Traditionsbuchhandlung Berliner Linker, das „europäische buch“ in der Charlottenburger Knesebeckstraße muß schließen

Vor zwanzig Jahren war die Welt für das „europäische buch“ noch in Ordnung. Es gab einen kleinen Laden am Olivaer Platz - und der war täglich rammelvoll. All die vielen theoriebewußten Studenten wollten Marx und Engels lesen, auch die braune Lenin-Gesamtausgabe war erschwinglich. Das „europäische buch“ war zwar keine „linke“ Buchhandlung im selbstverwalteten Sinne, aber sie lag günstig. Die großen Studentendemonstrationen gegannen praktisch vor der Ladentür. Die gute Konjunktur hatte Folgen. Die Besitzer Heimbert und Schwandt mieteten für 10.000 Mark im Monat den großen Laden an der Knesebeckstraße und waren fortan die erste Adresse in der Stadt für all die preisgünstige offiziöse und nicht offiziöse DDR-Literatur. Ein Verlag und ein Buchvertrieb kamen hinzu, die guten SED-Kontakte ermöglichten Nachdrucke von in der DDR vergriffenen Titeln, sowie Lizenzausgaben von Bestsellern.

Die finanziellen Probleme begannen Mitte der siebziger Jahre. Das Auslieferungslager, quasi eine Dependance des Buch-Exportes Leipzig, band große Mengen von Kapital und die Kundschaft änderte sich. Die Studenten hatten ihren Marx schon und die normale Laufkundschaft war nicht kauffreudig genug, den Laden finanziell selbständig zu halten. Nach einem Kreditgeber wurde sich umgeschaut und eine anonyme Schweizer Aktiengesellschaft, die Firma „Orvag“ sprang ein. Sie übernahm die Gesellschafteranteile und glich Defizite aus. Die „Orvag AG“ aber, und das will heute bei „euro-buch“ keiner gewußt haben, war und ist immer noch ein dubioses Unternehmen. Ihr gehört ebenfalls das „Druckhaus Norden“ und der „Berliner Zeitungsdienst“, beides SEW-nahe Einrichtungen, die jetzt vor der Pleite stehen. Aber wie auch immer, das endgültige „Aus“ für das „europäische buch“ erfolgte im August 1989. Den Mitarbeitern wurde bis Ende März gekündigt, der Mietvertrag aufgelöst, zum Liquidator Werner Gierke von der „Orvag“ bestellt. Regreßforderungen werden wohl ergebnislos verlaufen, denn wem, Schalck -Golodkowski oder unbekannten SED-Funktionären, gehört die „Orvag“?

ak

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