Tradition und Mythos

■ „Yaaba“, ein afrikanischer Film von Idrissa Ouedraogo

Hier draußen vor dem Dorf, in der Einsamkeit, der Stille, hier sind sie frei und unbeschwert. Sie jagen einander, ausgelassen spielerisch, mit flinken, anmutigen Bewegungen. Wie Gazellen. Hier draußen vor dem Dorf ist es auch, wo Bila, der Zwölfjährige, und seine Cousine Nopoko die alte kahlgeschorene Frau treffen, die plötzlich, wie aus dem Nichts, hinter den dürren Büschen auftaucht und einfach dasteht. Schweigend findet sie sich damit ab, daß sie von den anderen Kindern mit Steinen beworfen und von den Bewohnern des Lehmhüttendorfes mit üblen Schimpfwörtern attackiert wird. Sie sei eine Hexe, munkeln die Dorfbewohner. Das reichte aus, um die Alte aus der Gemeinschaft auszustoßen, zu diskriminieren und zu schikanieren. Bis sich Bila daran macht, diesen Mythos aufzubrechen.

Die Geschichte um die vorsichtige Freundschaft zwischen Bila und der Alten, die er liebevoll Yaaba, Großmutter, nennt, ist simpel und - im gemächlichen Tempo erzählt - auch nicht sonderlich aufregend. Aber Yaaba ist mehr als ein Rührstück mit kindlichem Samariter, mehr als nüchterne Sozialkritik: Es geht um das Leben in Westafrika, um die Dorfgemeinschaft im Busch von Burkina Faso, um Tradition und Mythos. Regisseur und Drehbuchschreiber Idrissa Ouedraogo verwebt viele Episoden des Dorflebens, hinter denen die „Handlung“ zurückritt, zu einem feinnervigen Geflecht. So ist Yaaba ein Film über den afrikanischen Lebensstil, den zwischenmenschlichen Umgang in der sogenannten „primitiven Gemeinschaft“ in Westafrika.

Und die hat eine Menge auch uns nicht unbekannter Probleme: Da gibt es den ewig lallenden Trinker, der impotent ist, seine Frau, die deshalb fremdgeht, eine schlampige Mutter mit beachtlichem Schimpfwortrepertoire, die zu Hause rausfliegt, und eben Yaaba, die zahnlose, aber dennoch grazile und sanfte vermeintliche Dämonin. Alle haben ihre fest zugeteilte Rolle, aus der man - wie bei der alten Yaaba - aus eigener Kraft auch nicht mehr herauskommt. So entstehen die Konflikte.

Vielleicht ist die Rollenverteilung ein wenig zu stereotyp

-sofern sich das aus europäischer Perspektive überhaupt beurteilen läßt. Aber gerade aus dieser Perspektive mutet die vermeintliche Überspitzung der Figuren vor dem Hintergrund einfacher, aber eindrucksvoller Bilder, der langen Einstellungen und der fast statischen Kamera im Film geradezu märchenhaft an. Allerdings ist Yaaba ein Märchen ohne „richtiges“ Happy-End: Denn die Alte stirbt, bevor sie von ihrer Wiedereingliederung in die Gemeinschaft erfahren kann.

Wie im Märchen wird in Yaaba auch viel erzählt. Eine afrikanische Tradition: die der mündlichen Überlieferung. Immer sind es Dialoge, die das Geschehen vorantreiben; so richten sich der Rhythmus des Films, die Kamera, der Schnitt, ganz nach den Konversationen. Für hiesige, an Action und Videoclip-Ästhetik gewöhnte Zuschauer ein vielleicht etwas zu langsames Verfahren...

Jedenfalls ist Ouedraogo, der den Film mit finanzieller Unterstützung der Schweiz, Frankreichs und auch der Bundesrepublik (ZDF) und mit einem ausschließlich europäischen Stab drehte und der selbst in Paris studierte, nicht der Versuchung erlegen, europäische Ästhetik zu adaptieren, sich am Westen zu orientieren. Burkina Faso ist eines der zehn ärmsten Länder der Welt. Hier ist Film ein wichtiges Instrument zur Rückgewinnung kultureller Identität, zur Selbstbesinnung und Emanzipation. Eine Chance zur Entwicklung, ohne didaktisch aufdringlich zu sein.

So endet Yaaba, wie er begonnen hat: Mit den Kindern, wie sie Versteck spielen, jagen und laufen, wie sie sich verlieren in der Weite der Ebene... Ein Ausblick.

Andrea Schröder

Idrissa Quedraogo: Yaaba, mit Fatimata Sanga und Noufou Quedraogo, Burkina Faso 1989, 90 Min.