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Wer ist der Mensch Mandela?

In der Biographie des berühmtesten Gefangenen der Welt wird vor allem die private Seite der Persönlichkeit Mandelas dargestellt / Der politische Werdegang des ANC-Führers bleibt eher unterbelichtet, ebenso die versprochene detaillierte Beschreibung der Anti-Apartheidsbewegung  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

Sein Name erscheint dieser Tage wieder in den Schlagzeilen rund um die Welt. Denn allem Anschein nach soll der berühmteste Gefangene der Welt in Kürze frei sein. Nelson Mandela war 27 Jahre inhaftiert. Gespannt wartet die Welt auf die ersten Bilder, auf die ersten in Freiheit geäußerten Worte des weltweit gefeierten Anti-Apartheid-Kämpfers. Doch wer ist Nelson Mandela? Was ist dies für ein Mensch, auf den sich die Erwartungen von Millionen Menschen richten?

Einen Einblick gibt die im vergangenen Jahr erschienene Biographie Nelson Mandela - Stimme der Hoffnung von Fatima Meer, langjährige Freundin der Mandelas. Die Autorin, Soziologieprofessorin, arbeitet an der Natal Universität in der südafrikanischen Hafenstadt Durban. Meer stützt sich außer auf persönliche Erfahrungen der entscheidenden Jahre in Mandelas politischem Leben vor allem auf Briefe, die der Führer des verbotenen Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) aus dem Gefängnis an Familienmitglieder geschrieben hat.

Die Biographie folgt Mandela von seiner Geburt 1918 als Sohn einer Häuptlingsfamilie im Stammesgebiet der Transkei über seine politische Arbeit als Mitbegründer der ANC -Jugendliga in den 40ern bis zu seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft 1964. Dadurch kann vor allem die politische Entwicklung der 40er und 50er Jahre in Südafrika gut nachvollzogen werden. Jene Zeit nach der Machtübernahme der Buren 1948 und die damit einhergehende brutale Verschärfung der Apartheid ist gleichzeitig geprägt von einer zunehmenden Militanz des ANC. Dahinter stand hauptsächlich die Jugendliga, deren Mitbegründer Mandela war.

Meer, die selbst am politischen Geschehen dieser Zeit beteiligt war, scheint fast alle damals führenden Aktivisten persönlich gekannt zu haben und kann so wichtige Ereignisse en detail beschreiben. Den LeserInnen eröffnet sich eine nahezu überwältigende Folge von Kampagnen und Protestaktionen, Versammlungen, Reisen und Diskussionen. Die fast atemberaubende Energie, mit der sich Mandela in den politischen Kampf wirft, verbindet die Biographin mit zahlreichen Einzelheiten über sein persönliches Leben. Darin liegt auch die Qualität dieser Biographie - in dem ungewöhnlich intimen Einblick in das Familienleben und die „private“ Seite der Persönlichkeit Mandelas.

Mandela - so entwickelt sich das Bild vor unseren Augen ist und war ein durch und durch aufrechter Mann. Schon als Kind sei er besonders aufgefallen, erinnert sich eine Verwandte. „Sein Benehmen war sehr gut, und er brachte allen Älteren Achtung entgegen“, erzählt sie. Aufrecht ist auch Mandelas Statur, was seine spätere Frau Winnie bei ihrer ersten Begegnung offenbar besonders beeindruckt hat. „Von dem braunen Hünen mit dem dicken, auf einer Seite gescheitelten Haarschopf und einem Lächeln, das sie auf eine Weise berührte wie nichts vorher in ihrem Leben, war Winnie wie geblendet“, schreibt Meer. Winnie spielt denn, wie in Mandelas Leben, auch in dem Buch eine wichtige Rolle. „In meinem Alter hätte ich erwartet, mit dem Sturm und Drang der Jugend sei es vorbei“, schreibt Mandela 1979 an sie. „Doch das scheint nicht so zu sein. Dein bloßer Anblick, ja nur der Gedanke an Dich zündet tausend Feuer in mir.“

Fatima Meers Veröffentlichung ist die erste Biographie Mandelas, die die Trennung von seiner ersten Frau Eveline nicht einfach verschweigt. Mandelas einzige Söhne, Tembi und Makgatho, gingen ebenso wie zwei Töchter aus der ersten Ehe mit Eveline hervor, die er 1944 heiratete. Doch politische Arbeit und viele Reisen belasteten die Ehe. Zudem umgab sich Mandela gerne mit anderen Frauen. „Nelson wirkte auf Frauen außergewöhnlich anziehend und ließ sich auch leicht von ihnen anziehen“, so Meer. 1955 trennte sich das Paar. „Eveline ist freundlich und charmant“, schrieb Mandela 1985. „Ich habe sie selbst dann respektiert, als die Ehe auseinanderbrach. Es wäre äußerst unfair, würde man sie für das Scheitern verantwortlich machen.“

„Zwischen den beiden Familien, die Nelson gegründet hatte, gab es Spannungen“, kommentiert Meer. „Es war für ihn immer sehr schmerzhaft, daß die, die er liebte, einander nicht liebten oder doch nicht so sehr, wie sie eigentlich sollten.“ So versucht Mandela in seinen Briefen oft zu vermitteln, nennt Winnie auch Evelines Kindern gegenüber immer „Mum“. Er ist ein strenger Familienvater, stets darauf bedacht, bei den Entscheidungen seiner Kinder ein Wort mitzureden.

Es ist wichtig zum Verständnis des Buches, daß es sich um eine von Mandela autorisierte Biographie handelt. Sie konnte - was Meer selbst überraschte - im englischen Original 1988 zu Mandelas siebzigsten Geburtstag sogar in Südafrika erscheinen. Ausdrücklich ist auf dem Buchtitel von „Aufzeichnungen“ Fatima Meers die Rede. Mehrmals wurde ihr von den südafrikanischen Behörden gestattet, Mandela im Gefängnis zu besuchen, um ihn über Kindheit und Jugend erzählen zu lassen. Meer hat den Vorteil, auf der Grundlage einer langjährigen Freundschaft schreiben und deshalb auch die ausführlichen Briefe des Gefangenen als Material nutzen zu können. Andererseits schafft es die Autorin in vielen Passagen nicht, die notwendige Distanz zu gewinnen.

So gibt es kaum eine kritische Einschätzung Mandelas. Der Mann wird durchweg heldenhaft dargestellt. So ist nicht nur die Rede von dem „braunen Hünen“, sondern auch von seinem eigenhändigen Kampf gegen den weißen Premierminister Verwoerd oder seiner „fast verschwenderischer Freigiebigkeit“. Winnie Mandela bleibt recht eindimensional die Frau, deren „Klugheit und Schönheit“ Nelson „überwältigten“. Sie wird unkritisch als die immer liebende, wunderschöne, leidende Ehefrau dargestellt. Zwar erschien das Buch noch vor der Kontroverse um Winnie Mandelas Fußballklub und dessen mörderische Machenschaften, doch als gute Bekannte von Winnie muß auch Fatima Meer von den Zweifeln an der politischen Klugheit von Winnie Mandela gewußt haben.

Am überraschendsten bei einer Soziologieprofessorin als Autorin ist allerdings die häufig mangelnde Erklärung des politischen Zusammenhangs der Aktionen, an denen Mandela beteiligt war. Oft überschatten in der Biographie Aktionen, detaillierte Beschreibungen, Gefechte zwischen Staat und Opposition die politischen Grundlagen der Ereignisse. So wird zum Beispiel über den Volkskongreß von 1955 berichtet, bei dem die noch heute für den ANC ausschlaggebende Freiheits-Charta verabschiedet wurde. Um diese Charta gab es einige Kontroversen, die zur späteren Spaltung des ANC beitrugen. Nirgendwo aber ist in der Biographie dieses Grundsatzdokument nachzulesen, noch werden Mandelas eigene Ansichten dazu bekannt.

Eine ausführliche politische Grundsatzerklärung Mandelas taucht erst gegen Ende des Buches in Form seiner Verteidigungsrede vor dem Obersten Gericht auf, das 1964 die Hochverratsklage gegen ihn führte. Die Rede wird in voller Länge abgedruckt. Darin begründet Mandela, warum er nach dem Verbot des ANC 1960 die Aufnahme des bewaffneten Kampfes befürwortete. „Ich bestreite keineswegs, daß ich Sabotageakte geplant habe“, so Mandela vor Gericht. „Ich plante sie jedoch nicht leichtfertig oder weil ich etwa in die Gewalt verliebt bin. Sie waren vielmehr das Ergebnis einer kühlen und nüchternen Einschätzung der politischen Lage, die nach so vielen Jahren der Tyrannei, Ausbeutung und Unterdrückung, die mein Volk von den Weißen zu erdulden hatte, entstanden war.“

Diese Haltung zur Frage der Anwendung von Gewalt war übrigens auch der Grund, warum ihn „amnesty international“ nicht als politischen Gefangenen „adoptiert“ hat. Das Mandat der Gefangenenhilfsorganisation schreibt nämlich vor, nur gewaltlose politische Gefangene zu betreuen. Wie Mandela allerdings zu dieser Einstellung kam, welche politischen Entwicklungen er durchmachte, um einen solchen Schritt zu unterstützen, das zeigt diese Biographie nicht. Zudem bricht der historische Überblick praktisch nach Mandelas Inhaftierung ab - auf etwa 30 Seiten wird die Zeit von 1964 bis 1988 abgehandelt. Dabei geht es vor allem um Winnie Mandela. Das ist verständlich. Doch eine „detaillierte Beschreibung der Anti-Apartheidsbewegung in Südafrika, von ihren Anfängen bis heute“, wie auf dem Buchumschlag versprochen, ist das auf keinen Fall. Auf dem Cover heißt es, daß dieses Buch erkläre, „wie dieser Politiker (Mandela) zur Symbolfigur schwarzen Widerstands und der Hoffnung aller politisch Unterdrückten der Welt wurde“. Das Versprechen wird ebenfalls nicht eingehalten. Der Leser dieser Biographie lernt immerhin den Menschen Mandela besser kennen.

Hans Brandt

Fatima Meer: Nelson Mandela - Stimme der Hoffnung. Die autorisierte Biographie, München Heyne-Verlag, 1989. 38 DM

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