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Weibliche Erotik auch für Männer

■ Dorothea Zeemann las aus ihrer erotischen Biografie „Eine Liebhaberin“ im Ambiente

Wenn eine 15jährige den Finger ihres Liebhabers zwischen ihre Schamlippen zwingt - finden das nur Frauen geil? Oder etwa nur Männer? Die „unwürdige Greisin“ der Wiener Literaturszene, Dorothea Zeemann, Jahrgang 1909, schildert ihre sinnlichen Erinnerungen, als gäbe es keine

anderen. Menschliche Gerüche und Haare - Haare auf Männerhänden und Männerbrust, Fell und Kamelhaare der Kleidung. In der elterlichen Wohnung hört frau das Parkett der guten Erziehung knarren. Als Vier-und Fünfjährige Spiele mit der Freundin - Tochter des Kohlelieferanten. Die übt schon aufgrund ihrer niederen sozialen Herkunft unwiderstehliche Anziehungskraft aus. „Ich mochte es, wenn sie meine Arschbacken auseinanderzog.“ Daß der zwölfjährige Nachbarjunge sie beim Dominospielen heimlich unterm Tisch erforscht hat, beichtet sie dem Pfarrer, worauf dieser ihr sein Ding zeigt. „Die Mutter machte daraufhin Geschrei in der sozialdemokratischen Parteizentrale.“ Der Widerspruch zwischen Moralpredigt und alltäglicher Unmoral fördert Neugier und Risikobereitschaft. „Huren waren alle. Jeder tat alles um der Vorteile willen.“ Lust an Heimlichem und Verbotenem, am Voyeurismus. Der Großvater mit der Amme, die Mutter mit dem „Untermieter“, der Nervenarzt mit der Kaffeehausköchin. Für das erste Penetrationserlebnis wird sie entschädigt, weil sie fordert, was sie für ihr Recht hält: Den männlichen Finger zwischen ihren Schamlip

pen. Dadurch wird der Schmerz zur Lust. Der Journalistikstudent im fünften Semester läßt ihr durch seinen Freund ausrichten, daß es aus sei mit der ersten Liebe und er solle sie trösten...

Alsbald besetzt der Nervenarzt (der mit der Kaffeehausköchin) ihre Sinne.

Nach der ersten Verabredung reißt Dorothea Zeemann uns aus der voyeuristischen Erwartung mit den Worten: „Viktor (der Nervenarzt) ist die große Liebe dieses Lebens, und mit der kommt es nicht zum Klappen.“

Dorotheea Zeemann beschreibt mit fast naiver Sachlichkeit ( Humor) eine bürgerliche Tochter aus dem Wien der zwanziger Jahre, die die Spielregeln kennt und für sich zu nutzen weiß. Sinngemäß: „Ich mochte die Männer, ihren Geruch und ihr Aussehen. Und ich mochte mich. Die anderen Mädchen interessierten mich nicht.“ Die Heldin wehrt sich nicht gegen männliches Drängen, einfach weil's ihr selbst pressiert. Sie hat das Spiel in der Hand. Und wenn auch erst jetzt - im Rückblick. Das findet frau nicht alle Tage: erotische Bettlektüre - zum Vorlesen. Beate Ram

Dorothea Zeemann, Eine Liebhaberin, Eichborn-Verlag 1989, 28 Mark

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