piwik no script img

Im Meer der Gefühle

■ Der Bulle, das Mädchen und die Stadt - „Sea of Love“ von Harold Becker

Es ist Nacht in New York City. Das Leben pulsiert, die Bürgersteige sind wie immer voller Menschen, und die Hektik des Verkehrs füllt die Straßenschluchten. Die Kamera fährt langsam über das geordnete Chaos und taucht in eine Wohnung: Ein Mann rackert sich hüftstoßend auf einem Kissen ab, während im Hintergrund die 50er-Jahre-Schnulze „Sea of Love“ dudelt. Dann erscheint ein Revolverlauf im Bild, und wir hören einen Schuß. Der Mann mit dem Schweißperlen-Po ist tot.

So beginnt Harold Beckers Ostküsten-Thriller Sea of Love, und zu diesem Zeitpunkt ist den ZuschauerInnen zumindest der Titel des Films kein Mysterium mehr. Der Evergreen von Phil Philips und den Twilights muß von evidenter Bedeutung sein. Beckers Kinoarbeit hält sich auch weiter souverän an die Konventionen der amerikanischen Kommerzproduktionen und führt gleich danach seinen Hauptdarsteller ein: Frank Keller (Al Pacino) ist ein abgehalfteter Bulle, der sich mehr schlecht als recht durchs Arbeitsleben schleppt. So verschickt er auch schon mal Einladungskarten für ein kostenloses Frühstück mit den N.Y.Yankees an gesuchte Kriminelle, um diese dann festzunehmen. Eine ungewöhnliche Stadt erfordert ungewöhnliche Methoden, möchte uns Regisseur Becker vermitteln, und dieses wohlbekannte Rezept

sticht auch hier.

Al Pacino überzeugt in seiner Darstellung als desillusionierter Cop, der einfach immer weitermacht, weil ihm nichts anderes einfällt. Er ist genauso heruntergekommen wie die Mehrzahl seiner alkoholisierten Kollegen, ihre Neurosen im Dienst ausleben und wie ein Tonband sexistische Sprüche herunterleiern. Da kommt die Idee gerade recht, den Mörder zu Beginn über eine gereimte Kontaktanzeige zu ermitteln. Das ist aufregender als der Alltagstrott, und außerdem scheint es sich um eine MörderIn zu handeln. Bei der Suche stößt Keller auf die breit- und schiefmäulige Helen (Ellen Barkin), und nun beginnen die Schwierigkeiten für den Polizisten erst richtig. Er verliebt sich in die Tatverdächtige und das kann nicht gutgehen.

Harold Beckers Film ist die intelligente Zeichnung eines Täter-Polizisten-Verhältnisses, die alle Facetten der Gebrochenheit auskostet. Hier ein Küßchen, da ein arwöhnischer Blick, noch eine Nummer unter der Decke, und schon im nächsten Augenblick scheint die Horrorvision Realität zu sein. Das ist alles geschickt miteinander verstrickt und läßt sogar noch Platz für die Sorgen und Nöte von Kellers Kollegen, der aussieht wie ein wandelnder Big Mac. Wenn wir glauben, nun sei der Schlüssel zu allem gefun

den und das schmalzige „Sea of Love“ wieder ertönt, legt Becker noch einen drauf. „Verfluchte Großstadt“, erlärt Frank Keller einmal sein panisches Handeln. Für diese neunzig Minuten gekonnte Kinounterhaltung ist sie unersetzlich. Jürgen Franck

UT 1, um 14.45, 17.15, 20.00, Fr./Sa. 22.45

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen