Keine Entschädigungen für die Bauern

In einem schlammigen Acker stehen Ali und seine Frau und pflanzen Tomatenstauden. In ein paar Monaten, noch bevor die Tomaten reif sind, wird der lehmfarbene Euphrat über die Pflänzchen fließen. Doch Ali geht lieber auf Nummer sicher. Wenn das Wasser dann doch nicht kommt, hat er wenigstens Tomaten. Die beiden gehören zu den wenigen, die noch im Dorf Korucuköyü geblieben sind.

Bald soll der Ort dem großen Staudammprojekt zum Opfer fallen: der Euphrat, der jetzt noch friedlich unter dem Dorf einherfließt, wird es dann in Besitz nehmen. Korucuköyü ist schon jetzt ein Geisterdorf: von den Pappeln am Wegrand stehen nur noch Stümpfe. Aus den Lehmhäusern haben die Einwohner die wertvollen Holztüren und -fenster herausgebrochen und die Dächer abgedeckt. Danach sind sie weggezogen - viele in die nahegelegene Kleinstadt Malatya, obwohl dort Arbeitslosigkeit herrscht, manche noch weiter weg.

„Uns hat die Regierung auf Kredit in der Westtürkei Land verkauft“, erklärt der 22jährige Kurde Hassan, der noch im Ort geblieben ist. Seine Familie ist landlos, wie so viele hier. Für das vom Großgrundbesitzer gepachtete Land muß sie jährlich eine feste Summe an ihn zahlen - auch wenn die Ernte ausfällt. Die Fenster ihres Lehmhauses, das auch dem Aga gehört, bestehen aus Plastikplanen. Hassans Hosen sind durchgewetzt und mehrfach geflickt. Entschädigungen für den Verlust ihres Heimatdorfs, ihrer Arbeits- und Wohnmöglichkeiten haben sie nicht bekommen. „Wir haben immer hier in den Bergen gewohnt“, klagt seine alte Mutter. „Was soll ich denn auf meine alten Tage am Meer!“ Auch die Landwirtschaft werde dort ganz anders betrieben. Woher ihr Sohn Hassan das lernen soll, weiß keiner.

Wenn Korucuköyü vom Tod gezeichnet ist, so müßte Harran zu neuem Leben erwachen. Bislang fegt der Wind noch Staubschwaden aus der Steppe durch die Gassen. Hinter dem Dorf wird ein Kind auf einem Holzbrett vom Ochsen über Getreidegarben gezogen; modernere Dreschmethoden sind hier unbekannt.

Doch wenn das Südanatolien-Staudamm-Projekt GAP erst einmal fertiggestellt ist, soll eine Wasserpipeline aus dem verdorrten Harran ein hochentwickeltes grünes Paradies machen. Ob Hüsseyin davon profitieren wird, bezweifelt er allerdings. Mit den paar Hektar Land, die er besitzt, wird er keine Reichtümer scheffeln können. Eher, so befürchtet der Fünfzigjährige, muß er das Wasser teuer bezahlen.

Hüsseyin ist wie die meisten seiner Nachbarn Araber. Türkisch spricht er nur gebrochen. Lesen und schreiben hat er während seines Militärdienstes auch nur in Ansätzen gelernt. Seine Frau und seine Töchter sind Analphabeten. Von einer rasanten Entwicklung dieses armen Landesteils in der Osttürkei ist in den Propagandabroschüren zum GAP-Projekt die Rede. Doch so wie der Euphrat über das Dorf Korucuköyü hinwegzieht - ohne auf seine Bewohner groß Rücksicht zu nehmen - so wird auch die Agroindustrie wohl über Harran hinwegziehen.

Antje Bauer