: Große Säcke, voll mit zig Milliarden Zloty
Das polnische Bankensystem ist eine ständige Inspiration für Kabarettisten / Abenteuerliche Transaktionszeiten und keine Abhilfe in Sicht / Westbanken sondieren nur ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Ewa hat ein Devisenkonto bei der polnischen Sparkasse PKO. Von diesem Konto möchte sie 50 D-Mark abheben und anschließend einen Teil davon in Zloty einwechseln. Sie gibt ihren Scheck ab, legt den Personalausweis dazu und sieht zu, wie die Schalterbeamtin gemütlich vier Formulare ausfüllt. Dann darf sich Ewa in die Schlange vor der Kasse stellen.
Dort stehen bereits 12 Personen, die alle auf die Rückkehr der einzigen Kassiererin warten. Die kommt nach einer halben Stunden, gähnend und gelangweilt einen Sack Geld hinter sich herschleppend: Vorübergehend war ihr das Geld ausgegangen. Dann vergeht eine weitere halbe Stunde, bis sie einem Ehepaar, das ganz schnell einen günstigen Fernseher kaufen will, klargemacht hat, das es noch einen weiteren Kunden der Bank mit gleichem Namen gibt und vor der Auszahlung erst die Idendität und jeweilige Kontozugehörigkeit nachgeprüft werden muß. Das muß der Filialleiter machen, und der ist in Finnland, aber Anfang nächster Woche kommt er wieder.
Nachdem der Traum vom Fernseher somit erfolgreich zum Platzen gebracht wurde, bewegt sich die inzwischen auf 25 Personen angewachsene Schlange vorwärts. Nach einer weiteren Stunde, die Ewa nutzbringend mit dem Schließen zahlreicher „Schlangenbekanntschaften“ verbracht hat, erhält auch sie ihr Geld. Damit geht sie dann zum Wechselschalter, um zwanzig Mark in Zloty zu wechseln. Erst als der Schalterbeamte beginnt, umständlich ein Ewa nur allzu gut bekanntes Formular auszufüllen, fragt sie, ob sie zur Auszahlung wieder vor der Kasse anstehen müsse. „Aber selbstverständlich“, meint der Beamte und gähnt ausgiebig. Ewa nimmt ihre fünfzig D-Mark und läuft zwei Straßen weiter in ein privates Wechselkantor, wo die zwanzig Mark innerhalb von Sekunden in Zloty verwandelt wurden.
Bei all diesen Transaktionen hat Ewa noch Glück, denn immerhin: Sie hat überhaupt ein Konto. Manche Banken lehnen inzwischen selbst die Eröffnung von Devisenkonten ab - aus Personalmangel. Da keine einzige polnische Bank wirklich computerisiert ist, wird alles von Hand erledigt. Auslandsüberweisungen dauern zwischen zwei Wochen und zwei Monaten, Binnenüberweisungen etwa vier Wochen.
Henryk T., Journalist aus Stettin, bekam seine Gehaltsüberweisung für Dezember '89 am 30.Januar des folgenden Jahres gutgeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Inflation bereits fast die Hälfte davon entwertet. Als er eine Anzahlung für seine Agentur in Warschau bekommen sollte, setzte er sich kurzerhand in den Zug und transportierte 17 Millionen Zloty, von der Bank in kleinen Scheinen ausbezahlt, in einem Koffer und einer Reisetasche persönlich nach Stettin.
Zu solchen Methoden muß ein Warschauer Geschäftsmann, der im Fernsehen verständlicherweise anonym bleiben wollte, ständig greifen. Das Binnenhandelsministerium sah sich nicht imstande, die notwendige Genehmigung zur Eröffnung eines Geschäftskontos für ein Einzelhandelsgeschäft in der Warschauer Innenstadt zu erteilen. So erledigt dessen Inhaber seinen Zahlungsverkehr, in dem er nach Geschäftsschluß mehrere zig Millionen Zloty Umsatz in einem riesigen Sack persönlich auf die Post schleppt, wo er - des Abzählens wegen - jedesmal einen mehrstündigen Stau verursacht. Einige Male wurde er von einem Polizisten begleitet, bis dem örtlichen Kommissariat die Sache zu bunt wurde: Personalmangel, ließ man ihn wissen, lasse solche Sonderdienste nicht länger zu.
Ausländische Geschäftsleute, die tagelang von Bank zu Bank fahren, bis man ihnen gnädigst die Eröffnung eines Kontos gestattet, sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Die Regierung hat inzwischen ein Bankengesetz durch den Sejm gebracht, das die Eröffnung privater Banken ebenso ermöglicht wie die Gründung von Joint-venture-Banken mit ausländischem Kapital. 30 Anwärter stehen bereits auf der Liste, die dem Chef der Nationalbank zur Genehmigung vorliegt. Ausländer sind nicht darunter.
Zwar gibt es inzwischen einige ausländische Banken, die in Warschau Vertretungen haben, doch sie beobachten einstweilen nur die Lage, Transaktionen führen sie nicht durch. Täten sie es, würden sie ihr blaues Wunder erleben: Abertausende kontoloser Geschäfts- und Privatleute würden die Schalterhallen stürmen, in Kürze würde auch der Betrieb der erfahrendsten Bank zusammenbrechen. Kaputte Telefonleitungen, Vermittlungen, die Stunden brauchen, um mit dem Ausland zu verbinden, nicht funktionierende Telexe und Telefaxe würden jeden Kontakt mit dem Weltmarkt, ausländischen Aktien- oder Devisenbörsen verunmöglichen.
Ganz abgesehen davon, daß jede Auslandsbank erst einmal entweder genügend ausländische Fachleute mit polnischen Sprachkenntnissen und Erfahrungen mit Polens Wirtschaftssystem mitbringen oder sich vor Ort Fachleute aus der Bevölkerung heranziehen müßte. Und das ist bekanntlich eine Sache von Jahren. Und um nicht hoffnungslos überlaufen zu werden, müßte sie in allen größeren Städten zugleich mehrere Filialen, alle perfekt computerisiert, eröffnen.
Dafür - und das ist neu - dürfte sie einen Teil ihrer Gewinne ins Ausland transferieren. Denn um Banken das Leben trotz allem leichter zu machen, hat der polnische Gesetzgeber Ausnahmen von den sonstigen Joint-venture -Regelungen zugelassen. Sonstige Vorschriften für abenteuerlustige Banker: ein Mindestkapital von sechs Millionen Dollar, das mindestens zehn Personen in Form einer Aktiengesellschaft einbringen müssen. Auf die wenigen Westbanken, die zur Zeit in Warschau sondieren, warten insgesamt 4 Milliarden Dollar auf den bisherigen Konten und noch einmal rund 2 Milliarden in Sparstrümpfen und Kaffeekannen. Experten gehen davon aus, daß die PolInnen, mißtrauisch gegenüber den heimischen Banken, Ausländern ihre Ersparnisse sehr wohl überlassen würden.
Ganz problemlos wäre das Bankendasein aber auch dann nicht, wenn alle bisher beschriebenen Probleme sich als lösbar erwiesen: Polen untersagt nach wie vor Kapitaltransfer ins Ausland. Auf umfassende bürokratische Kontrollen müssen sich die Geldhäuser also gefaßt machen.
Das gilt indessen weniger für jene dreißig Privatleute, die zum Teil als Personengesellschaften, zum Teil als GmbH oder kleine Aktiengesellschaften ihr bescheides Wechselstubennetz in ein Bankensystem verwandeln wollen. Sie kommen häufig mit einigen Milliarden Zloty zur Nationalbank (eine Milliarde entspricht etwa 100.000 Dollar) und suchen um Genehmigung zur Eröffnung einer Bank an. So sympathisch diese Anzeichen von Unternehmergeist manchmal anmuten - Polens Bankprobleme sind zu groß, um so schnell gelöst zu werden. Fragt sich, wer das schafft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen