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VOLLENDUNG DER SENDUNG

■ Jockel Tschiersch als endgültiger Kaminsky im BKA

Eigentlich ist Kabarett idiotisch. Es läuft für gewöhnlich darauf hinaus, daß gutwillig kritische Mitbürger anderen gutwillig kritischen Mitbürgern, das auf ironisch-lustige Weise mitteilen, was sie ohnehin schon wissen. Weil der Kabarettist auch das weiß, mischt er meist auch ein wenig Kritik am kritischen Publikum in sein Programm, was das kritische Publikum umso mehr zu genießen weiß. Durch Kabarettoriginaltöne von Radio 100 oder Droste-Lesungen (ein wenig erinnert Kaminskys Gesicht an den geschätzten Westfalen) in seinen Vorurteilen eigentlich nur bestätigt, macht man sich also eher unlustig auf ins BKA, um Jockel Tschiersch als Kaminsky in seiner endgültigen Talk-Show zu beobachten. Und findet sich mehr als freudig überrascht, das heißt schwachsinnig kichernd, in einem schönen, geräumigen Dachgeschoß wieder.

„Wissen Sie, es ist ja beim Fernsehen so. Vor jedem dahergelaufenen Kabarettisten machen sie sich ins Hemd. Selber produzieren sie unfreiwillige Satire am laufenden Band. Ich sage nur: Abendkommentar. 'Immer weiter wächst die Schere der Ungerechtigkeit zwischen den Industrienationen und den Ländern der Dritten Welt, eine Schere, die den Menschen dort unten immer tiefere Löcher in die vom Hunger bereits ohnehin aufgeblähten Bäuche schneidet. Und wenn Sahib, der kleine Äthiopierjunge aus den Slums von Kuala Lumpur, heute abend sein müdes Haupt in den Staub der ausgemergelten Straße legt, weiß er nicht, wo er am nächsten Morgen das kleine Stückchen Brot zum Überleben herbekommen soll. Wir von 'Report‘ wissen es auch nicht. Guten Abend.'“ Diese Passage wiederholt Kaminsky wohl sechs bis sieben Mal. Und das wird auch jedes Mal komischer, weil die Wiederholung das beim einmaligen Zitieren anerkannt kritische Potential des Satzes durchstreicht und in irgendeinem Niemandsland infantiler Komik plaziert.

Jockel Tschiersch ist infantil im besten Sinne, das heißt er kennt keine Verneinung und keine Tabus. Wenn die „Randgruppen“ erdrückt werden in der Umarmung; wo der „Krüppel“ zum Behinderten, der „Neger“ zum Farbigen, der „Arschficker“ zum Homosexuellen wird, wo die Unterdrückten als Zirkusnummer Zucker fressen dürfen, sofern sie sich nur an die Spielregeln halten, im Fernsehen also, spricht er vom „Brei ungestillter Sehnsüchte, der aus den dampfenden Kadavern sabbernder Randgruppen gesotten wird“. Und läßt den Spastiker von nebenan immer wieder sich einen Urlaub „in Ihrem schönen Hotel“ wünschen, läßt einen bekannten holländischen Kaviarliebhaber herausfinden, was „unser kleines Scheißerchen“ wohl zuvor gegessen haben mag. So spielt er sich selber in eine Wut, die anfangs immer noch von Currywürstchen mit Ketchup, die ihm seine Assistentin reicht, unterbrochen werden kann. Dann nicht mehr; dann steigern sich seine Wiederholungen ins Lustig-alles -Vernichtende a la Dick und Doof oder Kapielski; aufgezogen wie ein Blöder schlägt er seiner Assistentin das Lieblingsessen aus der Hand - „Laß dat mal den Kaminsky machen“ - und schmeißt sie aufs Sofa; als Partnergemeinde -Bürgermeister von Zwickau saut er mit Bier herum, oder er packt seinen Pianisten und schleppt ihn zum Wurstzerkleinerer - „mindestens drei Zentimeter sind deine Finger zu lang - lange Finger, langer Schwanz - weniger ist mehr“ - und erwischt seine eigene Hand, mit der er blutig Watschn verteilt. „Da hält man dageg'n, Luis, da hält man dageg'n.“

Die Show besteht nicht nur aus konsequenten Fortführungen deutscher Fernsehunterhaltung, sondern wird poetisch zusammengehalten; wie Musik durch verschiedene Grundthemen, die immer wieder in Versatzstücken auftauchen. Wie durch die Geschichte mit der Nachtigall von Ramersdorf, der Kaminsky die Perücke vom Kopf reißt, um sie dem Pudel von Annette Humpe zu verfüttern: „Und das Schönste an dem Hündchen und der Perücke: Die hat ja gewonnen: 1:0“ Der Pudel ist erstickt. Oder durch die Urszene: „Schuld war ja die Mutter. Mußte ja so kommen. Die Kiste lief den ganzen Tag. Überall hat sie's rumerzählt, überall. Wenn andere spielen waren, durfte ich gucken gehen. 'Ja, Frau Keller, der Junge kommt ja mal beim Fernsehen. Den schicken wir auf die Oberschule, und dann kommt er direkt beim Fernsehen. Der guckt ja den ganzen Tag.‘ Alle hab‘ ich sie gekannt in dem Kasten da drin. Mußte ich ja. Sonst gab's Prügel. Richtig besessen war sie von dem Gedanken. Dem Alten war's egal. 'Was hat er gesagt, der Onkel, wat er gesagt hat?‘ 'Hier ist das deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Welches Schweinderl hätten Sie denn gern. Peter den Bolzen. Dalli, dalli, wir schalten um zur Tagesschau.‘ Hab ich mich verdrückt in die Frittenbude; die hatten so'n kleinen Fernseher da - ich mußte ja wissen, was am Nachmittag im Fernsehen war - denen hab‘ ich immer Geschichten erzählt; von ihr und dem Alten. Da haben die sich immer totgelacht. 'Ne Currywurst hab‘ ich gekriegt.“

Tausend andere herzzerreißend komische Dinge finden sich in der Ki-Ka-Kaminsky-Show, „hier Domröschen mit dem Seidenmöschen - Guten Abend“, da Lea Rosh, da Fuchsberger, da eine Frauenromanautorin, da Reich-Ranicki - „das einzige, wovor ich mich fürchte, ist der paneuropäische Frauenroman“, da Gauweiler, „den hab ich mal zwischen zwei Aids-Infizierte mit Nasenbluten gesetzt„; da der jugoslawische Gastarbeiter: „Warum sage jetzt Polski schaffe und früher sage muß Jugo mache“, Polen, Behinderte, DDR-Bürger, Kaminsky selber „Warum Richling, warum nicht ich, warum Vaclav Havel, warum nicht ich.“

Tschiersch, dessen Show im letzten Sommer wegen Geschmacklosigkeit aus dem Fernsehprogramm fliegen mußte, verweigert sich sowohl dem Urteil, dieser intellektuellen Form der Verdrängung (Freud), als auch der Ironie, der arroganten Geste des Comme-il-faut. Gegen den Schulterschluß zwischen Kritisiertem und Kritisierer setzt er delirierende Affirmation, Trash, Wiederholung, schließlich Poesie. Was dem Fernsehen nur unvollständig gelingt, macht er zu seiner Stärke und gibt so als vom Fernsehen Ausgeschlossener, auf der Bühne dem Fernsehen seinen eigenen Sinn zurück. Unterstützt wird er dabei von Gregor (Wolfgang Böhmer), dem schlaksigen Pianisten, und Gabriele (Gabriele Rothmüller), seiner „ganz, ganz reizenden Assistentin, Gabriele, die kleinste und robusteste - sag schön guten Abend.“

Detlef Kuhlbrodt

Kaminsky kommt. Die endgültige Talk-Show. Mi bis So, 20.30 Uhr im BKA, Mehringdamm 34, 1/61.

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