: SCH(W)EIN DES GUTEN LEBENS
Zwischen Wasserfall und Aktivitäts-Wühl-Areal: Nachruf auf die diesjährige Grüne Woche ■ Antipasto
Daß die Internationale Grüne Woche in diesem Jahr einen enormen Besucherandrang erleben würde und deshalb anstrengender als je zuvor würde, dachte wohl nicht nur Ignaz Kiechle. Sein Wunsch: „Ertragen Sie die Enge mit Freude über die wiedergewonnene Freiheit unserer ostdeutschen Mitbürger“. Damit es nicht zu eng würde, begrenzte die AMK (Ausstellungs-Messe-Kongreß GmbH) die Karten pro Tag und brachte sie eine Woche vor Beginn der Grünen Woche in Umlauf.
Zwei Tage vor Beginn steht eine ältere Frau an der Theaterkasse. Ob es hier Karten für die Grüne Woche gäbe, fragt sie. Sie sei nicht nur Rentnerin, sondern auch aus der DDR, schwerbeschädigt dazu, vom Kriege her, da sei sie auf der Flucht gewesen und also auch noch Flüchtling - wieviel Verbilligung dies alles zusammen denn ergäbe. Sie selber sei auf 75 Pfennige gekommen.
Sie meinte das durchaus ernst, stand, den Kopf angriffslustig vorgestreckt, vor der Kasse, auf die Art selbstbewußt und stolz, wie Leute sind, die sich im Recht fühlen, aber insgeheim wissen, daß sie es nicht bekommen werden. Denn die Verkäuferin erwiderte, daß sie sich schon entscheiden müsse, ob sie DDR-Bürgerin sein wolle oder Rentnerin oder Flüchtling oder schwerbehindert, von ihr aus könne sie auch Studentin sein oder Schülerin, arbeitslos oder Sozialhilfeempfängerin, das sei alles nämlich der gleiche Preis, 6 D-Mark, und Ermäßigung gebe es nur einmal. Außerdem, fügte die Verkäuferin hinzu, müsse sie auch noch die Vorverkaufsgebühr bezahlen, das mache dann noch 90 Pfennig Aufschlag. Hatte die alte Frau die Nachricht, nur einmal Ermäßigung zu bekommen, noch mit einem gewissen Gleichmut ertragen, brachten sie die 90 Pfennig Gebühr aus dem Gleichgewicht. Das sei eine Frechheit, das mache sie nicht mit, ließ den Schnappverschluß ihrer braunen Handtasche einrasten und schritt davon. Pasta (Primo)
Bis zum Mittwoch abend haben 299.186 Personen die diesjährige Grüne Woche besucht. Doch obwohl das eine Steigerung von etwas mehr als 20.000 Personen zum gleichen Zeitraum des Vorjahres bedeutet, sank der Umsatz bei den Direktverkäufern - also bei denen, die dort Essen, Trinken und anderes direkt an die Leute bringen wollen - zum Teil um 70 Prozent. Das mag daran liegen, daß von den knapp 300.000 Besuchern über die Hälfte aus der DDR kommen - und die kaufen sich eine Eintrittskarte, um sich Nahrungsmittel anschauen zu können. Als würden sie in den Zoo gehen. Es ist schon bitter, wenn man eine Revolution gemacht hat, um dann zum Konsum-Statisten degradiert zu werden.
Die Pressesprecherin der Grünen Woche sieht die Angelegenheit so: Ja, es habe Unmut gegeben bei einigen Ausstellern wegen mangelnden Umsatzes, und das liege auch an der mangelnden Kaufkraft der DDR-Bürger, die natürlich nicht soviel ausgeben können. Aber sie betrachte das als eine Investition in die Zukunft, schließlich seien die DDR-Bürger die Kunden von Morgen. Und dann gäbe es auf der Fachhändlerebene auch Gegentöne, positive Stimmen, Aussichten auf Kooperation mit landwirtschaftlichen Betrieben in der DDR, auf dem Feld der technischen Ausrüstung und der Investitionsgüter.
Die Irland-Abteilung ist ganz in grün gehalten. Über einem Verkaufstresen hängt ein Schild mit der Aufschrift Irish Meat: gesunde Weiden, gesundes Fleisch, aus den Lautsprechern kommt die passende Folklore. Am Whiskey-Stand
-4 DM für einen Whiskey, 2 D-Mark Pfand für das Glas treffe ich vier von den 175.534 DDR-Bürgern unter den Besuchern. Sie sind morgens um halb sieben aus der Nähe von Leipzig aufgebrochen, sie hätten gehört, daß vor den Kassen lange Schlangen stehen würden und man eventuell keinen Einlaß mehr bekäme. Aber es sei alles halb so wild gewesen. Sie hätten viel von der Grünen Woche gehört und früher auch schon im West-Fernsehen gesehen und jetzt wollten sie sich das einmal mit eigenen Augen anschauen. Fröhlicher und üppiger hatten sie es sich vorgestellt, freigiebiger wohl auch. Alle vier wollen im Sommer nach Italien fahren, da müssen sie jetzt sparen. Hier reiche es nur für wenig, mal einen Schluck Wein oder auch das kleine Fläschchen Whiskey für 3.50, das sollten sie einem Freund mitbringen, der würde für irischen Whiskey schwärmen. Ob sie sich ausgeschlossen vorkämen? Ja, etwas, aber es sei ja schon gut, überhaupt herkommen zu können, und es würde hoffentlich bald auch mit ihrer Wirtschaft besser werden, dann würden sich die Dinge schon einrenken. Wenn nicht, sagt einer von ihnen, würde er auch bald in den Westen gehen. Secondo
„Die Internationale Grüne Woche hat seit der Teilung unseres Vaterlandes viele Jubiläen und Höhepunkte erlebt. Alle bisherigen Grünen Wochen werden jedoch an Bedeutung und Freude übertroffen von der diesjährigen. Erstmals haben wieder alle Deutschen aus Ost und West die Möglichkeit, sich hier in Berlin als freie Bürger zu treffen, Meinungen und erfahrungen auszutauschen und bleibende Eindrücke zu erleben.“ Ignaz Kiechle in einem Grußwort zur Grünen Woche.
Terretion ist ein Begriff aus der Diplomatie. Eigentlich heißt es: Vorzeigen der Folterwerkzeuge und wird angewandt bei Gegnern, die nicht sprechen wollen. Heutzutage lassen große Länder kleine ihre Armeen sehen, wenn die nicht spuren wollen. Hier in Berlin gebraucht man keine Folterwerkzeuge, sondern Konsumgüter, die den gleichen Effekt erzielen.
In der Italienabteilung stehen in einem großen Rechteck fünf circa fünf Meter hohe, auf Antik gemachte Säulen. Eine davon ist in der Mitte abgebrochen, von der letzten steht nur der Stumpf. Zwischen den sorgsam gefallenen Trümmern dieser beiden Säulen, die auf ausgerolltem Naturgras liegen und von nett arrangiertem Farn überwuchert werden, liegen riesige Mengen von Obst und Gemüse. Was da an Nahrungsmitteln zwischen den Pappzeugen der Wiege abendländischer Kultur liegt, ist nicht irgendwie aufgeschichtet, sondern sorgsam in Form gebracht: rote Paprika sind zu einem Dreieck geordnet, an dessen langer Seite ein anderes Dreieck aus Äpfeln liegt, Tomaten sind in einem roten Kreis ausgelegt und viele Zucchinis ergeben ein Quadrat: Ornamente des Reichtums.
In der Halle 2 gibt es die Sonderschau Schweineproduktion. Dort soll das anonyme Produkt Schweinefleisch sich durch unterschiedliche Marken profilieren und das Image verbessert werden. Die Züricher Universität stellt einen neu entwickelten Stall vor: der möblierte Familienstall für die ganze Schweinefamilie, einer, der die Natur imitiert, die Haltung in Familiengruppen aufgrund von Erkenntnissen der Verhaltensforschung betreibt, für größtmögliche Tiergerechtigkeit auf relativ kleinem Raum sorgt und dessen Möblierung sich am Freilandverhalten der Tiere orientiert: es gibt Aktivitätswühlareale, Nestareale und Einzelfreßstellen. Daneben eine Abruf-Fütterungsmaschine für Säue: neben artgerechter Haltung wird die Anpassung der Futterration an den individuellen Bedarf versprochen. Formaggio
Das Quartett der bundesdeutschen und West-Berliner Konsumentenseele mit Ausstrahlungskraft auf andere Kulturen ist: autofahren, fernsehgucken, in den Urlaub gehen und essen & trinken. Und für jedes davon hat Berlin eine Messe: die Automobil- und die Funkausstellung, die Touristikbörse und die Grüne Woche.
Jeder, der eine dieser Messen besucht hat, weiß, daß sie mehr sind als ein Ort, an dem sich Fachleute treffen, um Geschäfte zu machen. Die Messen sind auch Selbstdarstellungen der Warenwelt, ein Ort, an dem diese sich feiert in ihren neuesten Produkten, ihrem Überfluß und Reichtum, den sie zur Schau stellt. Und der Hauptteil der Besucher besteht nicht aus Fachleuten, sondern aus gläubigen Konsumenten, die sich zur Messe einfinden, um am Luxus teilzuhaben, die für die Dauer ihres Aufenthaltes jene Möglichkeit des Reichtums proben, die die Brieftasche sonst verwehrt. Die Messen stellen den Schein des guten Lebens aus und befriedigen den Hunger danach partiell, nie ganz. Man muß doch wieder aus dem schnellen Auto steigen, gegen das das eigene Auto nicht mal mit Spoiler anstinken kann; verläßt die Ferienstrände dieser Erde, aufgezogen auf großen Fototapeten, vor denen Sambagruppen spielen, unter einem graubedeckten berliner Himmel. Dabei sind die provisorisch aufgebauten Kunstwelten nicht einmal gelungene Kopien dessen, was sie darstellen wollen - es sind vielmehr rüde und billige Arrangements, jedes Detail legt Zeugnis wider den guten Willen ab: Übereinandergelegte Baumstämme, just, als wären sie gerade im Wald nebenan abgeholzt worden, bleiben nur so aufeinander liegen, weil sie von langen Nägeln zusammengehalten werden, in der Not hilft auch ein Winkel aus; während man unter einer rot-weiß gestreiften Markise sitzt, die offensichtlich nicht von Holz, sondern von Pappe ist, an einem Mixgetränk nippt und den kleinen Wasserfall anschaut, wie er in einen kleinen, mit Plastik ausgelegten Teich plätschert, hört man deutlich das Geräusch der Pumpe, die den Wasserkreislauf in Gang hält.
Zwischen diesem tatsächlichen Luxus, dieser grandiosen Anhäufung von allem, was irgendwie zu verdauen geht und aus aller Welt nach Berlin zusammengetragen wurde, und dem billigen Ton der Kultur, die sie präsentiert, geht es entlang der Grünen Woche. Man kommt sich vor wie in der Volksausgabe der Freßabteilung des KDW an einem langen Samstag, würde diese auf 25 Hallen ausgeweitet. Es wird gedrängelt und geschoben, Kleinfamilien, gezogen vom Vater, hasten durch die Gegend, um an einem Tag alles gesehen zu haben und kommen erst zur Ruhe, wenn alle Hallen durchlaufen sind und alle Prospekte in einer großen Plastiktüte verschwunden. Ausgeruht wird beim Heurigen in der Österreichhalle, vis a vis vom Wiener Cafehaus, Wein getrunken und mit dem Seemann gesungen, der dort auf Unterhaltung eingestellt ist, ein Prosit auf die Gemütlichkeit. Cafe
In einer Berliner Boulevardzeitung steht zum Winterschlußverkauf, nach der Aufzählung heruntergesetzter Waren, Kaschmirmäntel 150 Mark billiger, Markenjeans für nur 39 Mark usw., daß in den Kaufhäusern auch etwas für die Bürger der DDR bereitliege. Es gebe dort Warentische, vollgepackt mit Angeboten zwischen einer und fünf D-Mark.
Volker Heise
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen