„Boris für Helgoland“

In Bremen erlebte der Davis-Cup eine Zäsur: Nach Beckers Kritik gelobt der Tennisbund künftig Bescheidenheit Auch ohne den Besten stand der Erfolg bereits nach dem Doppel fest / Nächster Kontrahent ist Argentinien  ■  Aus Bremen Andreas Hoetzel

Sie hatten zwar nicht zu Tausenden die Karten zurückgegeben, wie es Boris Becker ihnen verärgert nachsagte. Doch der Unmut unter den BesucherInnen der Davis-Pokal-Begegnung gegen die Niederlande war nicht zu überhören. Die Enttäuschung füllte Bände - und Transparente. „Charly für Deutschland - Boris für Helgoland“, so beschriftet hingen die Tücher vom ersten Rang der Bremer Stadthalle.

Die versammelten Fanscharen der bundesdeutschen Tennis -Herren wollten es dem Champion nicht verzeihen, daß er schlichtweg müde war und sich nach fünf Jahren Davis- Pokal -Mühsal nur auf die Weltrangliste konzentrieren wollte. Die Halle war ausverkauft, blieb aber halbleer. Insbesondere auf den teuren Plätzen klafften unübersehbar Lücken - die Freunde von Champagner und Hummer hatten ihr Erscheinen nicht mehr für angemessen gehalten.

In der VIP-Lounge, von ebenso einfältigen wie hübschen Damen rigoros vor der Welt der Nicht-Wichtigen geschützt, genossen Roberto Blanco und Rudi Carrell ungewohnte Aufmerksamkeit. In Ermangelung wahrer Prominenz - beköstigt wurde die dritte Garnitur aus Wirtschaft und Politik avancierten die abgetakelten Showgrößen zu Stargästen.

„Der Sport muß wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden.“ Der Präsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), Claus Stauder, machte aus der Not eine Tugend. „Wir haben in München und Stuttgart bei den letzten Davis-Pokal-Spielen bestimmte Grenzen überschritten. Jetzt müssen wir aufpassen, daß nicht die falschen Leute Besitz ergreifen von den Veranstaltungen“, setzte sich der DTB-Chef von den Prunk und Protzgalas ab, die Ion Tiriac inszeniert hatte.

Stauders Aufruf zu größerer Bescheidenheit war kein Eigengewächs. Genötigt hatte ihn zu dieser Stellungnahme Boris Becker. Dessen aktuelle Äußerungen kursierten als Vorabdruck am Samstag in Bremen und sorgten für beträchtliche Aufregung.

„Wenn zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mit dem Deutschen Tennis Bund einen Langzeitvertrag über mehr als 36 Millionen Mark abschließen, ist das grenzenlos blind“, schreibt Becker im 'Spiegel‘ und legt in der Kritik am DTB noch eins drauf: „Entlasten würde mich, wenn der Deutsche Tennis Bund das Feiern ließe und, statt Hummer- und Kaviarfeten zu organisieren, seine Phantasien auf den Sport konzentrieren würde.“

Bislang zwar sah sich der DTB genötigt, dem für das gescholtene Marketing-Konzept verantwortlichen Herrn Tiriac das unbedingte Vertrauen auszusprechen. Doch ob der zum Jahresende auslaufende Vertrag verlängert wird, war in Bremen niemandem zu entlocken.

Die erstaunliche Konzilianz, mit der das Tennispräsidium die Abstinenz von Becker zur Kenntnis nahm, hat auch seine handfesten materiellen Gründe. Nennenswerte Davis-Cup -Einnahmen lassen sich nur bei den Heimspielen verzeichnen, die aber stehen in diesem Jahr selbst bei einem Vordringen ins Finale nicht mehr ins Haus.

1989 noch hatte der DTB über „die Zusatzeinnahme Davis-Cup“ (Pressesprecher Hecht) fünf Millionen Mark Brutto verbuchen können. Finanziell müßte der DTB bei einem sportlichen Erfolg in diesem Jahr draufzahlen - das Plus von Bremen reicht nach Schätzung des Tennis-Bundes gerade zur Begleichung der anfallenden Kosten für die nächste Runde Ende März in Argentinien.

Beginn einer neuen Ära:

Klarer Erfolg mit Mühe

„Er hat heute bestätigt, daß er ein Mann ist.“ Der 21jährige, dem Teamchef Niki Pilic solches attestierte, hatte gerade seine Davis-Cup-Premiere zur allseitigen Zufriedenheit bestanden. In einem sportlichen Umfeld, dessen Ambitionen sich auf ein Halten des Weltranglistenplatzes unter den ersten Hundert begnügt, hatte es der Debütant Michael Stich nicht sonderlich schwer, mit seiner ungestümen Unbeschwertheit das darbende Publikum für sich zu gewinnen.

An der Seite von Eric Jelen sorgte der Wahlmünchner mit einem zwar spannenden, aber nicht hochklassigen Vier-Satz -Sieg für die vorzeitige Entscheidung gegen die Niederlande.

3:0 nach dem zweiten Tag - das Ergebnis verdeckt die Mühsal, die hinter den bundesdeutschen Siegen stand. Weder Charly Steeb noch Eric Jelen hatten gegen Schapers und Nyssen, beide im ATP-Computer um fast 70 Plätze hinter ihren Konkurrenten geführt, mit Bravourstücken geglänzt.

Blaß und unscheinbar auf dem Center-Court, sichtlich mit der neuen Rolle der Matchwinner kämpfend, war die Freude über den Erfolg der Abwesenheit von Boris Becker gedankt. „Früher war's so, wenn wir gewonnen haben, hat Boris gewonnen. Wenn wir verloren haben, hab ich verloren“, schilderte Eric Jelen die Zeit an der Seite des Weltranglistenzweiten.

Für das bundesdeutsche Team ist das Kapitel Boris im Davis -Cup abgeschlossen. Viel Verständnis äußerten Spieler wie Coach über dessen Entscheidung. Schon in der nächsten Runde, vom 30. März bis 1. April in Argentinien, wird der Titelverteidiger als großer Außenseiter antreten. Die Transparente aber mit der mahnenden Frage „Wo ist Boris“, die in Bremen auftauchten, werden Steeb, Jelen und Stich wohl noch eine Weile daran erinnern, daß sie gemessen werden an den Davis-Cup-Erfolgen der letzten Jahre. Die Überfliegersiege, die One-Man-Shows und erfolgreichen Fights gegen die Goliaths der Tenniswelt gehören zunächst einmal der Vergangenheit an. Die Bundesrepublik Deutschland ist 1990 das, was sie im Tennis vor Boris Becker immer war: Mittelmaß.

Steeb - Schapers: 6:1, 4:6, 6:3, 6:3; Jelen - Nijssen: 7:6, 7:5, 3:6, 6:3; Jelen/Stich - Schapers/Nijssen 6:4, 6:2, 5:7, 6:4