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LEIDEN MACHT GLÜCKLICH

■ „Langusten“ im Kroll-Theater

Edelgard Hansen wuchtet ihre Garderobe in einem Koffer durch den Zuschauerraum auf die Bühne: „Ich wollte schon immer mal 'n Theaterstück spielen, wo alles in einen Koffer paßt.“ Dann kippt sie den Inhalt auf den Boden und sucht sich heraus, was sie braucht: Nylonschürze, Stützstrümpfe und eine mausbraune Perücke verwandeln sie in die Putzfrau Marie Bornemann, eine alte Frau, die ein Leben voller Arbeit hinter sich gebracht hat, ohne zu klagen. Die Metamorphose gelingt perfekt.

Während des Umkleidens erzählt Hansen die Geschichte der Kleidungsstücke. Angeblich hat sie sie von den vielen alten Frauen geschenkt bekommen, die sie während ihrer großen Umzugsphase durch Kreuzberger Hinterhofwohnungen kennengelernt hat - als ob diese Bekanntschaften dafür bürgten, daß Edelgard Hansen weiß, wie Marie Bornemanns sind.

Dabei ist die Garantieerklärung völlig überflüssig. Marie Bornemann trägt Aphorismen zur Lebensweisheit vor, mit denen sie sich gleichzeitig vom Kampf um ein besseres Leben distanziert und zum Weitermachen auffordert. „Uffräumen hilft immer“, zum Beispiel gegen Tränen des Alleinseins. In die Selbstgespräche mischen sich neben Resignation und Kummer der Stolz darauf, immer ein anständiger Mensch gewesen zu sein, und eine große Portion Selbstironie, die die Verzweiflung der Einsamen erträglich machen muß. Und in Mimik und Gestik ist Hansen mehr Marie Bornemann, als es die eigenen Nachbarinnen je sein könnten.

Das Volksstück von Fred Denger, das seit den fünfziger Jahren immer mal wieder aufgeführt wird, läßt Marie Bornemann an ihrem 60.Geburtstag allein herumsitzen und darauf warten, daß der Postbote einen Glückwunsch der Tochter bringt. In der Inszenierung von Ellen Esser lebt die Tochter vielbeschäftigt im Westen, die Mutter allein in einer Hinterhauskammer im Osten. Dabei ist es für die Handlung von Langusten völlig egal, ob Marie Bornemann nun rechts oder links der Grenze wohnt. Es ist überall eine Schweinerei, für einen lächerlichen Lohn putzen gehen zu müssen in einem Geschäft, dessen Waren zudem für einen selber unerschwinglich sind. Ohne Konkretisierung der Besonderheiten gesellschaftlicher Wirklichkeit bleibt die Verlagerung des Geschehens in die DDR modischer Pep.

Marie Bornemann hat für ihre kleine Geburtstagsfeier extra eine Languste aus dem Deli-Laden verschwinden lassen. Nun ist die Delikatesse angerichtet. Es kommt, was kommen mußte: nämlich nicht die drei geladenen Gäste. Marie Bornemann hat Zeit, sich mit Gott, dem Stubenvogel Hansi und dem Schalentier zu unterhalten. Dabei kommen Stück für Stück die wenigen Ereignisse ihres eintönigen Lebens zur Sprache, vor allem ihre unglückliche Liebe zu Emil Teuerlein, den sie letztens zufällig vor dem Deli-Laden wiedergetroffen hat. Von ihm ist auch die erwachsene Tochter im Westen - nur weiß er immer noch nichts von ihr. Während des Monologs schlüpft Edelgard Hansen, zwischen Berliner und Sächischem Dialekt wechselnd, in die Menschen, die in Maries Leben eine Rolle spielen. Auf die spärlichst ausgestattete Bühne kann sie die Erinnerungen Marie Bornemanns genauso traurigkomischlebendig erscheinen lassen wie die eigentliche Handlung. Am sichersten spielt Hansen natürlich die Rolle der Marie; so sicher, daß die Identifikation mit dem Geburtstagskind allzu leicht fällt.

Deshalb läßt sich schrecklich mit-leiden: Die Ereignisse spitzen sich derart zu, daß ein drohendes tragisches Ende kinoähnliche Schauder der Spannung über den Rücken schickt. Marie Bornemann wartet auf ihre Verhaftung! Groß ist die Erleichterung, als sich schließlich wieder alles zum „Guten“ wendet. Marie Bornemann wird nicht abgeführt, sie darf auch weiter im Deli-Laden arbeiten. Umso größer ist dann das Erschrecken darüber, daß eine Lösung, bei der alles beim alten bleibt, zufrieden aus dem Theater gehen läßt (kommt doch auf die alternativen an. sezza).

Claudia Wahjudi

„Langusten“ mit Edelgard Hansen im Kroll-Theater, Merseburger Str.3, 1/62, immer Di bis Fr um 21 Uhr.

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