„Mehr Latino als Deutscher“

Schnelle Eingewöhnung Wolfram Wuttkes in Barcelona  ■  P R E S S - S C H L A G

Für mich zählt nur eins - ich und nochmals ich. Wer auf der Strecke bleibt, ist mir egal.“ Dies ist nicht die interne Direktive eines Oggersheimer Staatsmannes an seine Image -Agentur, sondern schlichte Empirie eines westdeutschen Fußballästheten, der nach dem Fazit eines ehemaligen Trainers nur „dumm, dick und faul“ ist.

„Ich bin sehr wichtig und mit Sicherheit nicht ersetzbar. Und danach sollen sich alle richten.“ - Nur, keiner richtete sich nach ihm. Happel, Heynckes oder Beckenbauer, sie und noch einige mehr schaßten „Wuttii“, wie es durch etliche Stadien schallte, wenn er eines seiner Soli mit einem unnachahmlichen Außenristschuß abschloß. Nun verließ Wolfram Wuttke, einer der umstrittensten Balljongleure, nach 276 Bundesligaspielen, 66 Toren und vier Rauswürfen den deutschen Rasen.

Der Ruhrpottsproß, der wie kaum ein anderer den Ball streichelt und von dem man sich in Catrop-Rauxel noch heute erzählt, wie er als Knirps die Wäschestangen derart elegant umdribbelte, daß in der Nachbarschaft sämtliche Fensterbretter ausverkauft waren, konnte mit dem teutonischen Zuchtmeistermythos „Elf Freunde müßt ihr sein“ nie etwas anfangen. Dennoch führte er, dem der österreichischen Trainereminenz Happel zufolge „oaner ins Hirn g'schissen“ hat, die Olympiaauswahl in Seoul erstmals zu bronzenem Lorbeer. In keinem seiner vier Auftritte unter dem Wappen des Bundesgeiers enttäuschte er.

Seine letzten Jahre verbrachte er dribbelnd bei den „Roten Teufeln“, wie man die Kaiserslauterer wegen ihres scharlachroten Dresses nennt. Als er für ein paar Wochen auf Nikotinstengel verzichtete, riefen sie ihn wenig zärtlich „Maratonna“, und als er im November letzten Jahres auch noch von Spiel und Training suspendiert wurde, schrieb eine Boulevardzeitung: „Der Betzenberg ist nicht Barcelona, das ist sein Problem.“

Null Problemo“, dachte Weltmeister Bonhof - der mit dem strammen Schuß - und vermittelte dank seines beim FC Valencia erworbenen kastilischen Sprachvermögens Wuttkes Transfer in die katalanische Metropole. „Für ein Trinkgeld von 1,23 Millionen, gemessen an seinem Marktwert“, wie ein iberischer Unterhändler meinte, verpflichtete Espanyol Barcelona, seit Saisonbeginn Zweitligist, den 28jährigen. „Wolfy“, wie die katalanischen Gazetten titeln, soll den kleinen Nachbarn des übermächtigen Lokalrivalen FC Barcelona wieder in die Ehrendivision führen. „Wir wollen seine Tore, wir brauchen seine Pässe, wir hoffen auf sein Genie“, lautete der Tenor. Während der ersten Trainingstage jubelten jeweils Tausende von Zaungästen dem balleleganten Aussiedler, der sich auf ein jährliches Überbrückungsgeld in siebenstelliger Höhe freuen darf, zu. Wuttke selbst stellte sein Licht keineswegs unter den Scheffel. „Ich spiele in der Art von Netzer und Schuster“, verriet er gewohnt vollmundig den erfreuten Katalanen.

Zehn Tage Wuttke in Barcelona: Das „vale“ - „alles bestens“ - kommt ihm schon locker von den schnauzbartverzierten Lippen. Bei Rot über Ampeln zu heizen liegt seinem Naturell ebenso wie des Trainers Anweisung „tranquilo, Wuudy“, er möge nicht so schnell rennen. Mit seiner alten Heimat hat er abgeschlossen. „Lieber gegen Pamplona als gegen Plauen“, meint er lächelnd. „Die Ochsen sollen mich bloß in Ruhe lassen.“ Als ihn ein deutsches Fernsehteam das vierte Mal mit einem Wäschebeutel den Hotelflur entlangtraben läßt, beendet der zweifache Vater die Dreharbeiten mit den Worten, er sei doch „kein James Bond“.

Doch Wunderdinge wie aus der Geheimküche von 007 sind es genau, die von dem Mittelfeldstrategen erwartet werden. Nach seinem glanzlosen Debüt anläßlich der 0:1-Pleite in Madrid gegen Reals Filiale CF Castilla erklärt er wortkarg: „Einstand gut, Ergebnis schlecht.“ Am Tag darauf ist fett gedruckt zu lesen: „Wuttke bester Spieler: zauberhaft mit Übersicht.“

Während eine zweiköpfige Blockbalkenabordnung noch immer versucht, dem 1,68 großen Fußballer Titelreifes aus seiner Biographie zu entlocken, ist dieser schon weit weg. „Hier ist mein Zuhause. Das ist meine Mentalität. Ich war schon immer mehr ein Latino als ein Deutscher.“ Und Spanien war schon immer Herberge für die schwererziehbaren Germanen. Netzer, Breitner, Stielike oder Schuster, sie alle werden nie auf dem Ruhmesaltar des DFB zu finden sein. Auf der iberischen Halbinsel liebt man die Exzentriker, die Polemiker. Benvinguts, Wolfram Wuttke.

Nikolas Marten