: Mit Heimatliedern gegen Serbien
Der Nationalismus droht in Slowenien und Kroatien die Demokratisierungsbestrebungen zu überrollen / „Die Wahlen gewinnt, wer am lautesten nach nationaler Selbständigkeit ruft“ / Die Wirtschaftsreformen beginnen zu greifen: der Dinar verdrängt wieder die D-Mark ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder
Burek ist ein albanisches Nationalgericht - es besteht aus kleinen Fleischstückchen und Nudeln und ist als kleiner Zwischensnack auch im Norden Jugoslawiens populär geworden. Überall in den Außenbezirken der Stadt Zagreb, der Hauptstadt der Republik Kroatien, findet man die von albanischen Familien betriebenen Burek-Buden. Um 2 Uhr früh noch drängeln sich Autofahrer, Diskobesucher, Angetrunkene, Leute, die zur Frühschicht müssen, um die schmalen Tische. Hier herrscht, anders als in Serbien, keine Berührungsangst vor Albanern, doch mischt sich auch Neid in die Anerkennung für die Geschäftstüchtigkeit der Budenbesitzer.
Die serbische Unterdrückungspolitik im Kosovo ist überall Gesprächsgegenstand und wird heftig kritisiert; noch ist es allerdings in Kroatien nicht so weit, daß Volkes Stimme die Politik beherrscht. Zwar sind für den 8.April Wahlen ausgeschrieben und wurden in den letzten Monaten und Wochen Oppositionsparteien gegründet - die Macht im Lande hat immer noch die Kommunistische Partei, die aber mehr und mehr die populären Stimmungen im Lande aufzugreifen sucht. Seit die serbische Führung einen Wirtschaftsboykott gegen Slowenien verhängte und nun auch mit ähnlichen Maßnahmen gegen die Kroaten droht, hat sich die nationalistische Stimmung gegen Serben und Serbien radikalisiert. Da kommt es schon mal vor, daß ein Auto mit Belgrader Nummer demoliert wird oder Serben auf offener Straße beschimpft werden.
Fast alle Parteien und oppositionellen Strömungen, die in Kroatien und Slowenien entstanden sind, haben sich Namen zugelegt, die an ihre nationale Zugehörigkeit erinnern. Heimatlieder dudeln aus dem Radio, Volkstänze und Volkskultur sind Zeichen dieser nationalen Renaissance. Seitdem in Slowenien Paare, die keine Kinder haben, mehr Steuern bezahlen sollen, geht die nationalistische Welle gerade jenen noch stärker gegen den Strich, die vor Jahren schon oppositionell handelten. Zur Vermehrung der Nation beizutragen, sind die Altoppositionellen weniger bereit. Lautstark taten sich die slowenischen Christdemokraten hervor, indem sie eine Kampagne gegen die Abtreibung führten. „Wir müssen aufpassen, daß die gesamte oppositionelle Bewegung nicht in einen Konservativismus abkippt“, erklärt Tomaz Mastnak, einer der führenden Köpfe der demokratischen Opposition Sloweniens.
Offensichtlich, und das macht der demokratischen Opposition Sorge, hat die Stimmung im Lande den Nationalismus über die Demokratisierung gestellt. Die meisten Oppositionellen in Slowenien hatten doch gehofft, daß mit der Demokratisierung der eigenen Republik Impulse für die Demokratisierung des Gesamtstaates entwickelt würden. Und gerade jetzt, da die Aussichten für eine Demokratisierung - sieht man vom Konflikt im Kosovo ab - gewachsen sind, würde der Nationalismus alles überrollen, klagen sie. „Die Leute haben die Schnauze voll von einem Jugoslawien, in dem es nur Kämpfe gibt, in dem es nie ruhig wird.“
„Die Wahlen in beiden Republiken wird gewinnen, wer am lautesten nach nationaler Selbständigkeit ruft“, erklärt Zarko Puhorski, Philosoph an der Universität Zagreb und Organisator der „Gesellschaft für die jugoslawische Initiative“, einer Gruppe von Intellektuellen, die sich im vorigen Jahr in allen Landesteilen bildete und zur Zeit als einzige politische Gruppierung an einer gesamtstaatlichen Politik in Jugoslawien interessiert ist. „Wir werden uns wieder auflösen, wenn wir unsere Ziele erreicht haben. Und die sind: erst einmal eine Verfassung auszuarbeiten, die in der Lage ist, die nationalen Probleme und Konflikte zu lösen und die der Demokratie eine feste Grundlage gibt.“ Noch sei der Zug in den Separatismus noch nicht ganz abgefahren. Denn seit Ante Markovic die Regierung führe, habe sich die jugoslawische Politik aus ihrer Erstarrung gelöst.
Tatsächlich, die zur Jahreswende durchgesetzte Währungsreform beginnt zu greifen. Die Inflation ist nicht mehr erdrückend, die Flucht in die „dem“ (wird hier so geschrieben) ist gestoppt. Die Leute sind wieder bereit, Dinare anzunehmen. In den Geschäften werden die Preise zunehmend wieder mit Dinar ausgezeichnet - vorher alles mit „dem“. Hoffnung gebe auch, daß die Hilfen der Europäischen Gemeinschaft verknüpft sind mit der Demokratisierung des Systems. „So muß Markovic die Demokratisierung gegen Milosevic und seine Genossen durchsetzen.“ Das gebe auch Hoffnung für den Kosovo. Denn sobald dort Wahlen stattfinden könnten, wäre die von Milosevic abhängige Führung im Kosovo beseitigt und ein echter Verhandlungspartner geschaffen.
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