Rote Khmer auf der Suche nach neuem Image

In Kambodscha versuchen die Roten Khmer, durch Propaganda, Verteilung von Lebensmitteln und das öffentliche „Bekennen von Fehlern“ ihre Verbrechen vergessen zu machen  ■  Aus Bangkok Larry Jagan

„Niemals werden wir die Macht teilen“, sagte kürzlich ein Kommandant der Roten Khmer, „ganz egal, wieviel Zeit wir brauchen, um sie ganz zu erobern.“ An der thailändisch -kambodschanischen Grenze heißt es, daß sich die Khmer Rouge nun auf eine langwierige Auseinandersetzung einstellen, auf weitere fünf bis zehn Jahre des bewaffneten Widerstands. Wie auch immer die diplomatischen Friedensinitiativen ausgehen werden, die Roten Khmer wollen die ganze Macht. Sie wollen keine Zugeständnisse machen. Für sie gibt es nur eine Option: die militärische Lösung.

In militärischen Kreisen in Bangkok ist man davon überzeugt, daß die Roten Khmer ihre Schlagkraft in den andauernden Gefechten noch nicht voll zum Einsatz gebracht haben. Ein Offizier des militärischen Geheimdienstes ist von der Grenze zurückgekehrt und berichtet: „Noch nie habe ich Guerilla-Kämpfer in so ausgezeichneter Verfassung angetroffen.“ Ein anderer fügte hinzu, daß die Roten Khmer auch bestens mit Munition versorgt seien. Man geht hier davon aus, daß die Roten Khmer in den kommenden Wochen Battambang erneut angreifen werden.General Son Sann, der den erfolgreichen Angriff der Roten Khmer auf Phnom Penh führte, heute Kommandeur der Guerilla, sagte vor kurzem, daß seine Truppen nicht mit der Einnahme von Battambang oder Phnom Penh beschäftigt seien. Vielmehr hätten sie vor, die beiden Städte einzuschließen und ihre Außenverbindungen abzuschneiden. Dies war freilich bereits in den siebziger Jahren die Strategie der Roten Khmer, die schließlich auch zur Einnahme von Phnom Penh führte. „In nächster Zukunft planen wir, die Straße Nummer 10 unter unsere Kontrolle zu bekommen“, kündigt der General an.

Obwohl die Roten Khmer von sich behaupten, daß sie große Gebietsgewinne gemacht haben, kontrollieren sie derzeit nur das Gebiet um Pailin. Aber inzwischen kämpfen auch sie um die Unterstützung der Bevölkerung, die sie militärisch kontrollieren.

„Sie haben aus der Vergangenheit gelernt“, sagt ein westlicher Diplomat in Bangkok. „Sie wissen, daß sie ihr 'Völkermörder-Image‘ loswerden müssen, wenn sie auch politisch Terrain gewinnen wollen.“ Mit US-Dollar oder Gold kaufen die Roten Khmer Reis von den Bauern und zahlen dafür reichlich über dem Marktpreis. Angeblich verteilen sie auch Reis und Medikamente in anderen Regionen, wo Nahrungsmittelknappheit herrscht.

Selbst Sihanouk räumte ein, daß die Roten Khmer das von ihnen kontrollierte Gebiet nicht mehr „mit Terror oder der Politik des Genozids“ beherrschen. Ein Erfolg dieser veränderten Politik war der enorme Einflußgewinn, den sie in den vergangenen Wochen verzeichnen konnten. Ein Sekretär des Prinzen Sihanouk fügte dem hinzu, die Roten Khmer hätten begriffen, daß man die Bauern am ehesten gewinnen könne, indem man ihnen demonstriert, daß „alles, was geschieht, allein zu ihrem Wohl geschieht“.

Die Roten Khmer werden zwar von China unterstützt, doch verfügen sie auch über eigene Finanzquellen: Jahrelang haben sie thailändische Minenarbeiter für Schürfrechte auf kambodschanischem Boden zahlen lassen. Nach der Einnahme der Edelsteinregion von Pailin im vergangenen Jahr kauften über 2.000 thailändische und birmesische Minenarbeiter Lizenzen für die Rubin- und Saphirgewinnung. Nach örtlichen Angaben verdienen die Roten Khmer mit der Minenindustrie über 10.000 US-Dollar pro Tag. Das erlaubt ihnen, eine Politik der Wohltätigkeit zu verfolgen, und „es funktioniert“, wie Prinz Sihanouk bemerkt.

Aber auch die Abkehr von der Politik der Vergangenheit ist angesagt: Auf Dorfversammlungen wird zugegeben, man habe „Fehler“ begangen. „Seit 1982 haben wir uns verändert“, erklärte kürzlich ein Offizier gegenüber der Presse. „Unser Kampf ist zum nationalen Befreiungskampf gegen die Vietnamesen geworden. Unsere heutige Politik ist eine Politik der Gerechtigkeit. Wir erklären den Leuten, daß Diebstahl und Mord falsch sind.“

„Wir haben noch nicht alle Fehler der Vergangenheit erklärt“, sagte der kommandierende Rote-Khmer-General Son Sann kürzlich, „aber wir stehen für freie Marktwirtschaft und für ein Mehrparteiensystem. In Zukunft wird jede Partei im politischen Geschehen eine Rolle spielen. Wir müssen den Leuten das geben, was sie wollen: einen höheren Lebensstandard, Wohnungen, Lebensmittel, medizinische Versorgung und Erziehung.“

Dennoch, der paranoide Nationalismus, der das Jahr Null und die „Killing Fields“ mit sich brachte, ist immer noch Grundlage für die Politik der Roten Khmer. „Wir werden unsere Geselschaft wieder aufbauen müssen“, fährt der General fort. Doch unterdessen geht das Töten weiter. Zur Sicherung der Gebiete, die die Roten Khmer und ihre Bündnispartner gegenwärtig kontrollieren, siedeln die Guerillas Tausende von Khmer-Flüchtlingen von der thailändisch-kambodschanischen Grenze nach Kambodscha um. Letzte Woche haben sie mehrere tausend Flüchtlinge aus dem Borai-Camp verlegt, nicht zuletzt, weil UN-Beauftragte angedroht hatten, die Flüchtlinge von hier aus der Schußlinie zu bringen.

„Nur zwei- oder dreihundert Leute sind in Borai zurückgeblieben und die Lagerverwaltung der Roten Khmer ist schon damit beschäftigt, die Zelte abzubrechen“, berichtet Patrick van de Velde, Vizedirektor der UNO -Hilfsorganisation. 4.500 Flüchtlinge haben in diesem Lager gelebt. Der Kommandant Lok Tia weigerte sich, den UNO -Helfern Auskunft über den neuen Aufenthaltsort der Flüchtlinge zu geben. Die meisten Beobachter glauben, hinter der Verlegung stecke die Befürchtung der Khmer Rouge, die Kontrolle an die UN-Administration zu verlieren. Die Khmer -Flüchtlinge sind nicht nur eine Reservearmee für die Guerilla-Koalition, sondern ihre Existenz liefert den Roten Khmer auch die notwendige politische Legitimation. „Wenn sie die verlieren“, sagte ein westlicher Diplomat, „dann bleibt ihnen nichts.“

Nun tritt ein, was man in den Hilfsorganisationen seit Monaten prophezeit. Sobald die Roten Khmer oder die beiden anderen Guerilla-Fraktionen Terrain gewinnen, werden Umsiedlungsmaßnahmen sowohl aus militärischen als auch aus politischen Gründen unvermeidlich. Wie am Wochenende angekündigt, wollen die Roten Khmer 30.000 Menschen in die von ihnen kontrollierten Gebiete schaffen.

Wenn dort erst mehrere tausend Zivilisten leben, wird Hun Sen nur ungern eine schwere Attacke lancieren, um das Areal zurückzuerobern. Allzu leicht könnte die politische Stimmung umschlagen. Tatsächlich benutzen die Roten Khmer die Flüchtlinge als einen „Schild“. Anstatt aus dem Brennpunkt der Kampfhandlungen evakuiert zu werden, geraten die Flüchtlinge mitten in die Kriegszone. Nicht nur, daß es sich dabei um das schlimmste Malariagebiet Kambodschas handelt. Vertreter der Hilfsorganisationen sind wegen der mangelhaften medizinischen Versorgung in dieser Gegend äußerst besorgt.

Je länger es dauert, eine friedliche Lösung des Konflikts in Kambodscha herbeizuführen, desto mehr Kambodschaner werden ihr Leben verlieren. Oder, wie ein heute in Europa lebender Kambodschaner es nach einem Besuch in seinem Heimatland formulierte: „Die Zeit wird knapp. Sollte sich der Frieden nicht bald einstellen, werden keine Kambodschaner mehr übrig sein, die ihn genießen könnten.“