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Die Anderen: La Repubblica/The Guardian/Le Figaro

La Repubblica

Zu Gorbatschow und dem Mehrparteiensystem:

„70 Jahre nach Lenin hat ein Generalsekretär der KPdSU der sowjetischen Gesellschaft die Macht zurückgegeben, welche die Partei sich einmal im Namen des Volkes und des Sozialismus für immer genommen hatte. Heute schlägt Michael Gorbatschow im Namen der Menschheit und der Demokratie einen Weg ein, der dem der Bolschewiki entgegengesetzt ist. Er zerstört die Diktatur der KPdSU, gibt das Machtmonopol auf und öffnet zum ersten Mal in der Sowjetunion die verschlossene Tür zum Mehrparteiensystem. Die Parolen der Macht ändern sich, während ihre Symbole gewendet werden. Intakt bleibt lediglich die Treue zum Sozialismus, die auch gestern im Augenblick der Wende beschworen wurde, aber dies ist nur noch eine weltliche Religion ohne Dogmen, Illusionen und Liturgie. In vier Monaten, wenn auf dem Parteitag auch die Priesterfigur des Generalsekretärs abgeschafft wird und das Heiligtum des Politbüros sich öffnet, dann ist diese Religion erloschen, und die Perestroika kann sich der Welt und dem Land als das zeigen, was sie in Wahrheit ist: die einzige große Ketzerei in der sowjetischen Geschichte.“

The Guardian

Zum selben Thema:

„Gorbatschow scheint gestern die Forderung, das Machtmonopol der Partei zu beenden, akzeptiert zu haben. Er versucht aber immer noch, die direkten Auswirkungen zu vermeiden. Gorbatschows verbale Tarnung zielt teilweise darauf ab, die konservative Opposition zu verwirren. Es ist jedoch nicht klar, ob er einen ernsthaften Plan hat, das Machtmonopol zu demokratisieren oder ob er mit der Menge treibt. Jelzins These, so voreingenommen sie ist, muß ernsthaft berücksichtigt werden: Nur ein radikaler Wandel, so sagt er, kann Gorbatschow vor dem Abgrund retten. Das sowjetische Volk habe 'von Gorbatschow die Nase voll‘, weil er nicht sagen könne, ob er es mit der Linken oder der Rechten halte. Da auch die Konservativen einen ähnlichen Vorwurf erheben können, läßt dies Gorbatschow in einer zunehmend isolierten Position, es sei denn, daß die Mitte breit genug für ihn ist.“

Le Figaro

ebenfalls zu Gorbatschow:

„Die führende Rolle der kommunistischen Partei? Warum hätte er es nötig, seine Legitimität auf ewig auf den Artikel 6 der Verfassung zu gründen? Ist es deshalb notwendig, den geheiligten Artikel jetzt abzuschaffen? Nein. Was zählt, ist, daß die Partei dominierend bleibt, indem sie ihre Legalität nicht aus einem Verfassungstext zieht, sondern aus der Wirklichkeit einer Volksbegeisterung der Mehrheit, die auf demokratischem Wege zum Ausdruck kommt.“

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