: „Wilder Anschluß“ ist illegal
Uli Preuß, ehemaliger SDSler, ist Professor für öffentliches Recht in Bremen ■ I N T E R V I E W
taz: Inzwischen hat sich die deutsch-deutsche Diskussion auf die Frage Einheit oder Anschluß zugespitzt. Für den Fall, daß demnächst in der DDR wieder die traditionellen Länder entstehen, diskutieren die dortigen Politiker schon die Möglichkeit, daß diese Länder direkt nach Paragraph 23 des Grundgesetzes den Beitritt zur BRD beantragen können. Ist diese Gefahr des „wilden Anschlusses“ real?
Preuß: Das Grundgesetz sagt, daß es „in anderen Teilen Deutschlands“ (und damit ist praktisch die DDR gemeint) nach deren Beitritt in Kraft zu setzen sei. Das bedeutet zunächst nur, daß wir - auch nach dem Bundesverfassungsgericht - den Beitritt offenhalten müssen. Das heißt: Wenn der Beitritt erfolgt ist, die Bundesrepublik verpflichtet ist, dort das Grundgesetz zu übertragen. Aber der Beitritt selbst entscheidet sich nach dem Recht des Staates, aus dem das Land kommt. Dieses Sezessionsrecht gibt es nicht, und es ist kaum denkbar, daß in einer neuen DDR-Verfassung ein solches Recht zugelassen wird.
Welche völkerrechtlichen Probleme würde ein solcher Anschlußversuch provozieren?
Es gibt ja die völkerrechtliche Garantie der gegenwärtigen Grenzen in Europa durch die KSZE-Schlußakte. Die Bundesrepublik würde meiner Auffassung nach einen Völkerrechtsbruch begehen, wenn sie ein Land der DDR, daß sich gegen ihren Willen losreißt, aufnehmen würde.
Abgesehen von den politischen Folgen eines solchen Völkerrechtsbruches - an welche Instanz könnte sich die DDR wenden, um gegen die BRD zu klagen?
Es gäbe natürlich immer die Möglichkeit, nach Den Haag zu gehen. Aber eine weitere völkerrechtliche Bindung ist für die Bundesrepublik als härter und relevanter einzuschätzen: die Vorbehaltsrechte der vier Alliierten für Deutschland als Ganzes.
Den Wunsch Thüringens nach Beitritt könnte die Bundesregierung nur zur Kenntnis nehmen?
Ja. Es gibt allerdings noch einen anderen denkbaren Fall: Thüringen könnte auf den Gedanken kommen, nach Paragraph 144, Absatz 2, Abgeordnete ohne Stimmrecht in den Bundestag und Bundesrat zu senden wie in dem Falle von West-Berlin. Aber da würden die gleichen Einwände bezüglich Artikel 23 zutreffen.
Aus dem Grundgesetz ergibt sich ein Verfassungsauftrag für die deutsche Einheit, der wiederum eine Beteiligung der DDR voraussetzt?
Das läßt sich als implizite Voraussetzung annehmen: Man kann nicht von einer demokratischen Verfassung sprechen, ohne daß nicht eine geordnete und gleichberechtigte Verfassungsdiskussion garantiert wird.
Das heißt: Die bloße Ausdehnung des Geltungsbereiches des Grundgesetzes würde dem Geist des Grundgesetzes widersprechen?
So ist es.
Interview: Klaus Hartung
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