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HINTERHOF DES SEHENS

■ „Schornsteine“, eine Ton-Dia-Show von Günter Ries

Die Berlinale wird zumindest im Arsenal still beginnen. Nicht ganz still, denn ab und an macht es Klick wenn ein Dia das nächste ablöst und ab und zu sind da ein paar zögernde oder tippelnde Akkorde, die mit den Bildern und ihrem Wechsel weitergehen oder ihnen schüchtern widersprechen. Es handelt es sich um eine bestimmte Stille, die immer verschieden wiederkehrt im Rhythmus der Schornsteine, Dächer, Fenster, Fassaden, der Bäume am gleichen Ort; eine Stille, die als Struktur nicht weniger materiell ist als die abgebildeten Dinge, die sich auf der Leinwand verschieben, vertauschen, in Bewegung geraten, sich addierend vermischen in ihren Farben.

Über vier Jahre lang hat der Weddinger Maler Günter Ries den Hinterhof seiner Fabriketage fotografiert. Zunächst noch, ohne an eine größere Arbeit zu denken. Irgendwann fügten sich dann die immer wiederkehrenden Motive zu einem Ganzen zusammen. 350 Dias hat Ries schließlich zusammengestellt, wirft sie mit zwei Projektoren an die Wand. Die Farben und Motive verändern sich im soften Auf und Abblenden.

Zwischen Foto und Film, Statik und Bewegung entsteht ein neuer Bereich, in dem das einzelne Bild wie ein einzelner Ton aufgehoben ist, ohne zu verschwinden, in dem Veränderung immer zwischen Bildern stattfindet, die als Gegensatz in ihrer Materialität nur stärker hervortreten. Bilder zum Beispiel von Dachziegeln, die leicht verschoben gegen- und übereinandergeblendet Wellenbewegungen erzeugen; von Schornsteinen, die übereinander immer beides, Schatten ihrer selbst und sie selbst sind. Negative, die - zunächst wie Röntgenaufnahmen des Hinterhofs - sich dann langsam in Positive verwandeln. Bilder, die sich selbst verfremden, so, wie das Unternehmen das eigene Zimmer zu betreten merkwürdig schwierig wird, wenn man sich überlegt, daß man mit dem nächsten Schritt auf etwas treten will, das mit einer Geschwindigkeit von 30 Kilometern in der Sekunde um die Sonne fliegt; nur den Bruchteil einer Sekunde Verspätung und der Boden ist bereits meilenweit entfernt. Und dieses Kunststück muß fertiggebracht werden, während ich an einem kugelförmigen Planeten hänge, mit dem Kopf nach außen in den Raum hinein und ein Ätherwind von Gott welcher Geschwindigkeit durch alle Poren meines Körpers bläst. (Benjamin) In die gegebene Substantialität der Wirklicheit helfen einem dann wieder die Himmel, die mal mitteleuropäisch grellgrau, dann wieder im sattesten Blau des südlichen Sommers eher eigene Wünsche zitieren, als Sehnsucht zu erzeugen.

Andere Bewegungen entstehen, wenn zwei gleiche Motive im Uhrzeigersinn verschoben sind. In Dunkelphasen hat man Zeit, die Gedanken ihre Wege gehen zu lassen; im Kopf passiert immer etwas anderes, aber es geschieht doch im Rhythmus der Bilder, also parallel, manchmal Hand in Hand; das hängt vom Einzelnen ab - (man mag sich ja auch, wenn man, die Hände in den Manteltaschen, einfach nur so nebeneinander umherschlendert).

Die Dinge treten hervor, wie der rote neue Schornstein vor dem blauen Sommerhimmel neben einem anderen, der hell bröckelnd doch schon vom Alter gezeichnet ist. Wie beide Schornsteine aneinandergelehnt in Freundschaft sich stützen eine Zeit lang, sind Klavier und Bild, sind die einzelnen Bilder zueinander, ist der Betrachter gegenüber den Bildern, wenn er sich ihnen überläßt und in der Stille eigene Bilder ergänzt. Seine Sehnsüchte dann im Bild wiederfindet und sich freut: denn das ist doch das Lieblingsgelb, und dort wird mit Licht geschrieben so schön in den Abend hinein und so ruhig ist man schließlich bereit für die Filme, die für die nächsten Tage den eigenen Kopf besetzen werden.

Detlev Kuhlbrodt

„Schornsteine“ ist nur am Samstag um 15 Uhr im Arsenal zu sehen.

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