: Faule Allianzen
Das konservative Wahlbündnis in der DDR ■ K O M M E N T A R E
Der Beschluß des Runden Tisches gegen die Wahlkampfauftritte westdeutscher Politiker war richtig und falsch zugleich. Richtig als Appell, wenngleich es ein hilfloser Appell war. Fatal wirkt dieser Beschluß jedoch, weil der Runde Tisch unnötigerweise demonstriert, wie begrenzt seine Macht ist. Sie reichte aus, den Zersetzungsprozeß des SED-Apparates zu beschleunigen, sie reicht aus, die politische Verwaltung der Konkursmasse DDR vielleicht bis zu den Wahlen zu stabilisieren; erschreckend ohnmächtig und einflußlos steht dagegen der Runde Tisch der Dynamik der Vereinigung von unten, aus der Mitte und von oben gegenüber. Es ist sicherlich eine der Tragödien der allzu jungen Demokratie DDR, daß ihre authentischste demokratische Institution vom Demos verlassen ist. Es wird keinen Protest der DDR -Bevölkerung gegen die Auftritte von Kohl oder Lafontaine in Magdeburg, Dresden und Leipzig geben. Denn dieses Wahljahr 1990 ist gesamtdeutsch. Daß die Wahl am 18. März auch eine vorgezogene Bundestagswahl sein wird, liegt nicht so sehr am Kolonialismus westdeutscher Parteien als an der Interessenlage der DDR-Bevölkerung selbst. Die will sich offenbar nicht mehr die Zeit lassen, die wohlmeinende Westler mit guten Gründen ihr wünschen.
Mit seinem Beschluß verfehlte der Runde Tisch zudem die ganze Bitterkeit der Wahrheit: nicht die Rednerauftritte der Westler werden die Leute politisch enteignen. Die Zurichtungen und Flurschäden haben vielmehr längst schon stattgefunden. Jüngstes Beispiel - die „Allianz für Deutschland“. Unter dem Konkurrenzdruck der SPD hat die CDU in letzten Wochen eine Stampede quer durch die fragilen Gebilde der DDR-Opposition und der Blockparteien veranstaltet. Überfallartig sollte der „Demokratische Aufbruch“ zum Wahlkampfverein für Kohl vereinnahmt werden, was zum Verlust der Besten führte. Die CDU-Ost wurde kurzschlägig bearbeitet, abgewiesen, erpreßt und integriert. Der Vorsitzende de Maziere wurde denunziert, vorgeladen, unter Druck gesetzt, sollte abgeschossen, überzeugt und dann wieder ignoriert werden. Schamgrenzen zählen weder drüben noch hüben. Dem Parteivorsitzenden Kohl ist der Bundeskanzler inzwischen egal. Er requiriert das Gästehaus der Bundesregierung in Berlin, um als oberster Wahlkämpfer seine Wahlkampfmannschaft in der DDR zusammenzupressen, die „Allianz für Deutschland“ eben. Dieses Gruppenbild mit Herrn, die sprachlosen DA-, DSU, CDU-Ost-Vertreter drum herum, feierlich wie ein Mafia-Begräbnis, ist ein Schlüsselbild, wie böse noch der Kampf um die Oberhand bei der deutschen Einigung werden wird. Es war eine Versammlung von gebrochenen Rückgraten und Rückgratbrechern.
Die „Allianz für Deutschland“ und andere Allianzen sind Bündnisse der Angst: die Angst des „Demokratischen Aufbruchs“, einer Gruppierung schwindender Glaubwürdigkeit, ohne Apparat zu verlieren; die Angst der CDU, als Blockpartei unterzugehen. Es ist die obszöne Mesalliance von altem Apparat (der CDU) und neuen demokratischen Ansätzen, gestiftet von der beherrschenden Überlebensangst der Bonner CDU. Kohl praktiziert damit einen politischen Konkursbetrug, ein Griff in die Konkursmasse der Parteienlandschaft der DDR.
Unübersehbar: die Bundesparteien haben in ein politisches Vakuum gegriffen. Im Tempo von Umsturz und Verfall konnten sich weder Programmatiken, Debatten, Redner entwickeln. Die DDR hat keine politische Sphäre von Gewicht, so daß es müßig ist zu streiten, ob der Sog oder die angesogene Masse brutaler war. Aber es läßt sich immerhin der Verlust benennen: mit der „Allianz für Deutschland“ ist die Entfaltung einer eigenen konservativen Position verspielt. Warum haben sich die in der Politik vagierenden Pastoren nicht um ein christlich-soziales Konzept für die Marktwirtschaft gekümmert? Warum sind sie nicht zu den Wurzeln der westdeutschen CDU, zum „Ahlener Programm“ zurückgegangen? Eine wertkonservative Utopie wäre dem demokratischen Aufstand nicht fremd gewesen. Er war ja auch ein Protest gegen den forcierten, menschen- und lebensfeindlichen Fortschritt, gegen die zentralistischen Modernisierungsprozesse, die den Leuten ein konformistisches Elend und eine zerstörte Natur bescherten. Die Oppositionsvertreter in dieser Allianz verfügen schließlich über Erfahrungen von vierzig Jahren, die sie eigentlich nicht zu Wahlhelfern von Kohl prädestinieren. Man muß nicht die Schimäre einer DDR-Identität beschwören, um sie zu fragen, wo ihre Erfahrungen, ihr Mut, das Bewußtsein ihrer Interessen, kurz: ihr Rückgrat geblieben ist.
Klaus Hartung
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