: „Bleiche Gesichter...“
■ “...ungebildete Physiognomien“ / Das Schaffermahl vor 108 Jahren aus der Sicht eines reisenden Dänen
Das wertvolle Tafelsilber wird geputzt, das Rathaus hergerichtet, das älteste „Brudermahl“ der Welt gilt es zu feiern, und Damen sind verboten: Schaffermahl heißt die exklusive Herrenrunde, die sich alljährlich am 2. Februarfreitag zu ebenso eigenartiger wie traditioneller Speisung trifft. Üblich sind auch gewichtige Reden und Geldbeschaffe für das „Haus Seefahrt“, ein Altenheim für altgediente Fahrensleute und oder deren Witwen. Ehrengast diesmal: Jean-Pascal Delamuraz, Schweizer Bundespräsident.
„Nachhaltiger Eindruck
alter Tradition“
Ehrengast 1882: Der Däne Georg Brandes, reisender Literaturhistoriker und Kritiker, der in seinen 'Korrespondenzen‘ auch vom Bremer Schaffermahl erzählt:
„Man bekommt einen nachhaltigen Eindruck alter Tradition in Bremen. Einmal im Jahr wird hier ein ähnliches Fest wie das Londoner Lord Majors Dinner zu Ehren der Stadt und ihrer Seefahrt gefeiert. Es ist ein Abendessen, das in denselben Formen wie im Jahr seiner Einsetzung 1665 abgehalten wird. ... Das Essen heißt Schaffer-Mahlzeit und wird Bremens Reedern und Schiffern von dreien der jüngsten Mitglieder gegeben, die jährlich hinzugewählt werden. Man ist der Reihe nach Schaffer, und es kommt vor, daß manche lang genug leben, um die Mahlzeit zweimal zu besorgen.
Sie zu geben, wird als Ehre und Vergnügen angesehen, ebenso wie im alten Griechenland ein Schiff ausgerüstet oder den Chor einer Tragödie beköstigt zu haben. Jeden der Schaffer kostet sie ungefähr 1.500 Mark. Kein gebürtiger Bremer, der nicht als großer Kaufmann oder Kapitän Mitglied dieses Kreises ist, bekommt jemals das Fest zu sehen; aber Fremde können eingeladen werden, und da ich dieses Jahr geladener Gast war, kann ich als Augenzeuge über die altväterischen Mysterien dieses Mahles berichten. Im Foyer, wo die ganze Gesellschaft versammelt ist, wird wiederholte Male 'Schaffen, schaffen, boven und unten‘ durch die hohlen Hände gerufen, und
dann zieht man in die große Halle.
„Zwei Menschenkasten“
Es gab sicher an die 250 Gedecke. Man ordnet sich paarweise an, ein Kaufmann, ein Seemann, ein Kaufmann, ein Seemann, und hier und da auch ein Fremder. Es war höchst interessant, wie die bleichen, zivilisierten, abgespannten oder verfeinerten Gesichter der Kaufleute an allen Tischen mit den rotbackigen und wetterharten, derben und ungebildetetn Physiognomien der Seeleute abwechselten.
Es waren zwei verschiedene Menschenkasten, die vermischt in bunter Reihe saßen, die Kaste, die in frischer Luft lebt, und die, die in geschlossenen Räumen wohnt, die Kaste, die 2.000 Mark, und die, die mindestens 30.000 Mark im Jahr verdient. (...) An jedem Platz lagen Salz und Pfeffer in spitzen Tütchen aus Silber-und Goldpapier, da man zur Zeit der Einsetzung weder Salznapf noch Pfefferstreuer hatte; ein Stück Druckpapier diente als Serviette ... Vor jedem Gedeck stand eine Karaffe mit nach altem Rezept gebrautem Bier. Es hatte einen met-ähnlichen Geschmack und war ganz dickflüssig.“ Es wurde so geprüft: „Man goß ein wenig davon auf die Bank, setzte sich mit seinen Lederhosen darauf und versuchte kurz danach sich zu erhe
ben - wenn die Bank mitkam, war das Bier gut, ansonsten nicht. Zu Beginn des Essens wurden an jedem Tisch zwei große silberne Doppelhörner mit diesem Bier unter den Gästen herumgereicht, und stehend nippte man wiederholte Male daran unter zeremoniellem Grüßen und Anstoßen mit seinem Gegenüber. Die Gerichte waren alle höchst unzeitgemäß, sonderbare Speisen aus Wurst und Kohl, solid und schwer, keine anderen Braten als vom Ochse und Kalb, kein Geflügel, kein Dessert; bei jedem Gedeck lag ein Futteral mit Bremer Zigarren von ausgesuchter Beschaffenheit.“
„Auf Kaiser und Reich“
Es werden elf Reden gehalten, den Bremern, der Seefahrt, dem Handel gewidmet. „Seit der Reichsgründung ist der Trinkspruch auf Kaiser und Reich hinzugekommen. ... Von der Menge der prachtvollen alten Teerjacken“ der wettergegerbten Seeleute „erhob sich der Blick mit Vergnügen zur Saaldekoration empor. Ihr wichtigster Schmuck waren neun große Wandmalereien, die die fünf Erdteile und die vier Winde darstellen.“ Arbeiten von „Bremens begabtestem Sohn“ Arthur Fitger. Bu
Aus: Erik M. Christensen / Hans Dietrich Loock (Hg.), Georg Brandes: Berlin als deutsche Reichshauptstadt. Erinnerungen aus den Jahren 1877 bis 1883. Übers.v. Peter Urban-Halle. Colloquium-Verlag Berlin.
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