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Warten auf Mandela - „Was machen wir nur hier?“

Unter den Mandela-Jägern / Vor dem Luxusknast des wichtigsten politischen Gefangenen Südafrikas liegt die Journaille auf der Lauer und wartet auf den Tag X / Und weil Mandela (noch) nicht kommt, stürzen sich alle auf BesucherInnen  ■  Aus Paarl Hans Brandt

Warum sind wir hier? 35 Grad im Schatten, und weit und breit kein Schatten. Nicht ganz. Man kann sich unter einen der kargen Büsche kauern, oder sich zwischen die Autos zwängen, die 30 Meter entfernt am Straßenrand dicht an dicht unter dem einzigen Baum stehen. Aber 30 Meter - das ist in dieser Situation der Unterschied zwischen Leben und Tod - oder zumindest zwischen Erfolg und Niederlage, zwischen „Bild und Ton im Kasten“ und „Die Konkurrenz hat's“. Also in der Sonne stehenbleiben.

Die dreieckige weiße Ziermauer mit der schweren Aufschrift „Victor Verster Gevangenis“ ist der ideale Hintergrund für das Kurzinterview, auf das alle warten. Deshalb stehen ein Dutzend Fernsehkameras hier schon seit Stunden im Halbkreis, deshalb sitzen die Tontechniker auf dem heißen Asphalt. Es ist gerade noch Platz für das Objekt unserer Begierde, ein kleines Plätzchen, wo er, gegen die Mauer gedrängt, wird stehen können.

Die Ziermauer markiert auch die Grenze des Gefängnisgeländes. 50 Meter weiter ist das eigentliche Tor mit Schlagbaum, wo die Wärter jeden unliebsamen Besucher abweisen. JournalistInnen dürfen nicht einmal die unsichtbare Grenze am Grenzstein übertreten. Dafür sorgt ein burischer Wärter in Khakiuniform. „Wenn ich sage: geh, dann gehst du gefälligst“, blökt er, greift mich am Arm und drängt mich zurück. Doch auch er ist kein totaler Unmensch. Den Wasserhahn am Rande des Gefängnisrasens dürfen wir benutzen. „Was machen wir nur hier?“ fragt die erschöpfte Fotografin, die sich das kühle Naß über den Kopf laufen läßt.

Was wir machen? Warten auf Nelson Mandela, den seit 1962 inhaftierten Führer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). In diesem Gefängnis bei Paarl, 50 Kilometer nördlich von Kapstadt, wohnt Mandela in der Villa, komplett mit Swimmingpool, die ursprünglich für den stellvertretenden Leiter des Gefängnisses gebaut wurde. Im Augenblick beneiden wir ihn. Einmal in den Pool zu springen, das würde jedeR der etwa 60 JournalistInnen gerne tun. Einige von den KollegInnen tun seit Tagen nichts anderes als hier zu warten, rund um die Uhr. Ohne Erfolg. Wir wissen, daß Mandela nicht kommen wird. Aber wir werden ihn sozusagen aus zweiter Hand erleben. Allan Boesak, prominenter Anti -Apartheid-Pastor und Präsident des reformierten Weltbundes, ist am heutigen Diens tag nachmittag zu Besuch bei Mandela.

Das Gefängnisgelände ist groß, Mandelas Haus ist in der äußersten Ecke. Man kann außen herumfahren. Eine Schotterstraße entlang, etwa drei Kilometer weit, und da sieht man es liegen. Isoliert vom Rest der Gefängniseinrichtungen, umgeben von einer grauen Mauer, die wiederum von zahlreichen grünen Büschen überragt wird. Vom eigentlichen Haus, gar vom Swimmingpool ist nichts zu sehen. Statt dessen ein Zaun mit Stacheldraht, ein eigener kleiner Wachturm, Scheinwerfer für die Nachtbeleuchtung und hinter Sandsäcken verschanzte Wachen. Einer von ihnen kommt in aller Ruhe an das 50 Meter entfernte Hintertor, als ich von dort winke.

Mandelas Gefängnishaus liegt am Hang eines jener entzückenden kleinen Täler, die den Reiz der westlichen Kapprovinz ausmachen. Weinberge umgeben ihn, zu dieser Jahreszeit saftig grün, die Reben mit Trauben beladen. Im Hintergrund schimmern im heißen Dunst schroffe Sandsteinberge. Auch den wuchtigen Granitfelsen, jene Perle, die „Paarl“ den Namen gibt, kann Mandela sehen. Schönere Landschaft gibt es im ganzen Land nicht. „Wohnt hier Herr Mandela?“ frage ich, als der Wärter nah genug ist. Er lächelt nur vielwissend, notiert sich das Kennzeichen meines Autos und sagt dann, daß ich mich auf einem Privatgrundstück befinde. „Wenn sie nicht selbst das Grundstück verlassen, werden wir die Polizei rufen müssen.“ Auf der anderen Straßenseite sind einfache Häuser für die Arbeiter des Weinbauern. „Mandela, wir wissen nicht, wer das ist“, sagen die Leute, die da am Zaun stehen. Sie sind Saisonarbeiter, die nur zur Ernte hierherkommen. Sonst wohnen sie in der Karoo, der Halbwüste 500 Kilometer nordöstlich von hier. Sie arbeiten nachts, wenn die Trauben kühl sind.

Plötzlich kommt ein kleiner Geländewagen angebraust. Der Farmer höchstpersönlich, kurze Hose, braungebranntes Gesicht, weißer Schnurrbart, einen Hut in die Stirn gedrückt. „Hören Sie auf, mein Volk zu belästigen“, sagt er. Er meint nicht etwa das Volk der Buren, sondern „seine“ Arbeiter. „Was mich angeht, sollte der nicht freigelassen werden“, sagt er. „Mandela ist ein Terrorist.“

Boesak ist da anderer Meinung, als er nach einem mehrstündigen Gespräch von den JournalistInnen eingekreist wird. „Ich habe gerade eine der wunderbarsten Erfahrungen meines Lebens gemacht“, sagt er fast verklärt. Und niemand lacht. „Mandela ist ein Mann höchster Intelligenz, ein politischer Stratege ersten Ranges.“ Boesak betont, daß Mandela frei sein will, auch wenn die Bedingungen in Südafrika ohne die vollkommene Aufhebung des Ausnahmezustandes und ohne die Freilassung aller politischen Gefangenen nicht ideal seien. Präsident Frederick de Klerks Rede habe Mandela „mutig, kühn und hoffnungsvoll“ genannt.

Und dann ist es vorbei. Boesak steigt in seinen Wagen. Die JournalistInnen, Bild und Ton im Kasten, springen in ihre Autos. Zehn Minuten später erinnern nur noch die leeren Coladosen und das zertrampelte Beet rund um den Wasserhahn an die Stunden der Tortur in der Hitze. Morgen werden die Mandela-Jäger wieder hier sein.

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