: Weltspitze: Keine Tram fährt flacher
■ BSAG stellte Straßenbahn der Zukunft vor: Nur 30 Zentimeter über der Erde fängt der ÖPNV an
Auf der ganzen Welt geht es ab sofort nirgendwo mehr so flach zu wie in Bremen. Da dürfen Verkehrssenator Konrad Kunick und SPD-Fraktionschef Claus Dittbrenner nicht fehlen, Ex-Senator und BSAG-Aufsichtsratschef Bernd Meyer hält es nicht mehr zu Hause und seinen sozialdemokratischen Fraktionskollegen Reinhard Barsuhn auch nicht. Insgesamt 350 Ehrengäste, Öffentliche Nahverkehrs-Experten aus aller Welt, Straßenbahner von Amsterdam bis Brüssel gaben sich gestern die Ehre zu einer „Bremer Weltpremiere“: Ganze 30 Zentimeter über dem Neustädter Boden rollte die erste „GT 6 N“ im Straßenbahn-Depot am Flughafendamm ein, zu laiendeutsch: die erste „Niederflur-Gelenk-Stadtbahn“ der Welt. Eine echte Premiere.
Zwei Jahre lang haben Ingeni eure der MAN Gute-Hoffnungs-Hütte und der Düsseldorfer Kiepe -Elektrik GmbH rund 8 Millionen Mark an „torsionssteifen Radpaaren“, „GTO-Direktpuls umrichtern“ und „durchgehend niedrigem Fußboden“ verforscht.
Das Ergebnis: eine 26,5 Meter lange Straßenbahn mit 67 Sitz - und 103 Stehplätzen, bis zu 70 Kilometer schnell im futuristischen Trans-Rapid-Look. Nur das traditionelle BSAG -Rot-Weiß ist geblieben. Besonderer Clou und eigentliches Ziel aller Forschermühe: Mit einem Schritt ist man drin. Mühe- und fast stufenlos. Auf ganze 15 Zentimeter schmilzt die Einstiegshöhe, wenn das bremerkarten-bewehrte Fahrgastpublikum an hochgepflasterten Haltestellen der Bahnen harrt, die
da kommen sollen. Einkaufswagen-, Zwillingskarren- und Seemanskoffertransport werden in der neuen Bahn zum reinen Verkehrsvergnügen. Auch Rollstuhlfahrern und Gehbehinderten soll Straßenbahnfahren künftig zur Selbstverständlichkeit werden. Insgesamt versprechen sich BSAG, Senat und Bürgerschaft von der neuen High-Tech-Tram den Umstieg möglichst vieler Bremer vom Privat-PKW auf öffentliche Verkehrsmittel - „nicht durch Schikane“, wie Häfensenator Kunick in seiner Begrüßungsansprache betonte, sondern „mit mehr Komfort und aus Liebe zur Umwelt“.
hier die Bahn
Ein halbes Jahr soll der Prototyp jetzt auf allen Bremer Linien probefahren. Die ersten Serienfahrzeuge - geplant sind vorerst 20 - will die BSAG im nächsten Jahr bestellen und ab 1993 einsetzen. Gleichzeitig sollen die Haltestellen hochgepflastert werden. 15 Millionen hat der Bremer Senat im Rahmen seines ÖPNV-Konzepts für die nötigen Baumaßnahmen zur Verfügung gestellt.
Auf der Liste der Gäste zu Probefahrt, sechs Ansprachen, 20 Meter langem Buffet, Stehgeiger-Schmacht und Schlüsselübergabe standen übrigens auch ein paar Bremer Rollstuhlfahrer. Zumindest ihnen war nach der ersten Probefahrt die gute Laune vergangen: Rein geht's in die neue Bahn zwar leichter - wenn auch für viele immer noch nicht ohne fremde Hilfe. Bloß: Einmal drin,
ist Schluß mit dem Fahrver gnügen. Selbst schmale Rollstühle passen nicht durch den Gang zwischen den Sitzreihen. Lediglich direkt hinter dem Fahrersitz können sich zwei Rollstuhlfahrer drängeln. Wenn dort schon ein Kinderwagen steht, gilt für Behinderte allerdings auch in den neuen Bahnen: „Wir müssen draußen bleiben.“
K.S.
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