: Die letzten i in der Schlange
■ Bei der Arbeitsplatzvergabe geht hierzulande alles schön der Reihe nach: Erst kommen die eingeborenen Deutschen dran, dann die Brüder und Schwestern aus dem Osten und zum Schluß die Ausländer. Im deutsch-deutschen Freudentaumel drohen deren Chancen hüben wie drüben immer mehr zu schwinden.
Von
ANDREA BÖHM
urz nach dem 9. November 1989 - als man in Kneipen und an Grenzübergängen den Fall der Mauer und der SED begoß flatterte Arbeitsminister Norbert Blüm ein Brief aus Ankara auf den Schreibtisch. Den Freudentaumel ihres Amtskollegen wollte Imre Aykut, türkische Arbeitsministerin, keineswegs trüben, doch sie war ernsthaft besorgt, daß die deutsch -deutsche Euphorie für ihre Landsleute böse Folgen haben könnte: die Verdrängung türkischer ArbeitnehmerInnen durch Arbeitskräfte aus der DDR. Gerade die TürkInnen seien doch besonders gut integriert, beschwichtigte Blüm in seiner Antwort. Sollte sich trotzdem eine neue Welle von Ausländerfeindlichkeit abzeichnen, werde er „wie gewohnt“ mit allen publizistischen Mitteln dagegen vorgehen.
Momentan werden die publizistischen Mittel der Bundesregierung anderweitig genutzt - mit Kinospots, doppelseitigen Anzeigen und Plakaten wirbt die Bundesregierung bei der Bevölkerung um Verständnis, Jobs und Wohnungen für Aus-und Übersiedler. Als jung, ambitioniert und gut ausgebildet werden sie angepriesen, als Deutsche, die „heimkommen“, präsentiert. Teilweise fassungslos und wütend reagieren Griechen, Jugoslawen, Marokkaner, vor allem aber die in der Bundesrepublik und West-Berlin lebenden Türken auf diese demonstrative Herzlichkeit für die deutschen Brüder und Schwestern.
Die Verunsicherung unter den Ausländern reicht von Spekulationen über Massenausweisungen bis zu dem Gerücht, seit dem 9. November würde kein Türke mehr eine Aufenthaltserlaubnis mehr bekommen. Ängste, die einer reellen Grundlage zwar entbehren, durch Erfahrungen im Alltag jedoch genährt werden. „Die bekommen das neue Klima auch am Arbeitsplatz zu spüren“, sagt Necati Gürbaca, Gewerkschaftssekretär der IG Metall in West-Berlin. „Da heißt es dann von den deutschen Kollegen: 'Ihr könnt jetzt die Koffer packen.'“ In diesen Kanon einer neuen Welle der Ausländerfeindlichkeit stimmen viele Neuankömmlinge aus der DDR ein. „Schickt doch die Türken nach Hause„“ lautete die Antwort von Übersiedlern in einer Westberliner Notunterkunft auf die Frage, wie denn Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit beizukommen sei.
n den Statistiken der Arbeitsämter finden sich noch keine Hinweise über mögliche Folgen der Maueröffnung für ausländische ArbeitnehmerInnen - im Gegenteil, die Arbeitslosenrate war dank günstiger Konjunkturlage bis Juni 1989 von 14,7 Prozent auf 11,5 Prozent gesunken. Damit liegt sie aber immer noch vier Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Doch gilt weiterhin: je unqualifizierter und eintöniger die Arbeit, desto höher der Anteil der eingestellten Ausländer. Und wer „klaglos seine Arbeit verrichtet, wie die meisten Türken das ja tun, der braucht keine Angst zu haben“, erklärt unverblümt Alexander Lang, zuständiger Referatsleiter im Bundesarbeitsministerium. Die „größere Leistungsbereitschaft“ werde die Ausländer vor übermäßiger Konkurrenz durch Aus- und Übersiedler bewahren.
Doch der Verdrängungseffekt wird kommen, darüber sind sich Gewerkschafter, Beratungsstellen aber auch ImmigrantInnengruppen einig. „Die ausländischen Frauen wird es zuerst treffen“, befürchtet Lutz Fuchs-Jansen, zuständig für ausländische ArbeitnehmerInnen im Berliner DGB. Sie sind die „Manövriermasse“ auf dem Arbeitsmarkt, die die Plätze am Fließband und im Akkord auffüllen, bei Rationalisierung und Betriebsstillegung jedoch als erste wieder gekündigt werden.
usländische Frauen sind die absoluten Verlierer beim Arbeitsplatzabbau“, konstatiert die Berliner Politologin Gülay Toksöz und verweist zum Beispiel auf den Metallbereich in West-Berlin. Dort sank die Zahl der beschäftigten ausländischen Frauen zwischen 1975 und 1987 um 44 Prozent von rund 165.000 auf 92.000. Die Verringerung bei den deutschen Frauen betrug im gleichen Zeitraum elf Prozent, bei den deutschen Männern sieben Prozent. Während viele deutsche Frauen in den wachsenden Dienstleistungsbereich ausweichen können, ist den Ausländerinnen diese Alternative aufgrund mangelnder Qualifikation verwehrt. Ihnen bleibt oft nur noch der Weg vom schlecht bezahlten Fließbandjob zum noch schlechter bezahlten Putzjob in den zahlreichen Reinigungsfirmen.
Dort arbeiten sie nicht selten unterhalb der Sozialversicherungsgrenze unter gesundheitsschädigenden Bedingungen. Bei etwaigen Protesten wird unverhohlen mit dem neuen Arbeitskräftereservoir aus der DDR gedroht. „Die Frauen haben auch zunehmend Angst sich krankschreiben zu lassen, weil es dann heißt: Paßt bloß auf, da warten genug DDRler auf eure Jobs“, berichten einhellig Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen für Immigrantinnen.
unehmend schlechtere Karten“ sieht auch Necati Gürbaca in den Händen nicht-deutscher ArbeitnehmerInnen, zumal gewissermaßen flankierend eine zweite Bedrohung aus Bonn naht: der neue Entwurf zu einem Ausländergesetz des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble. Obwohl eindeutig dem Zufall zuzuschreiben, sehen viele ImmigrantInnen im zeitlichen Zusammentreffen von Grenzöffnung und neuem Ausländergesetz eine geplante Inszenierung ihrer Ausgrenzung.
Der doppelten Staatsbürgerschaft wird im Entwurf eine klare Absage erteilt, weitere Zuwanderung soll verhindert werden, materielle Armut (zum Beispiel Bezug von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe) kann zur Ausweisung führen - eine Gefahr, von der wiederum die Frauen besonders betroffen wären. „Außerdem lassen sie ein Türchen offen, falls wieder Arbeitskräftebedarf herrscht“, kritisiert Gürbaca in Anspielung auf das im Entwurf vorgesehene Rotationsprinzip. Zwar herrscht seit 1973 Anwerbestop, doch für den Fall der Fälle will Schäuble Arbeitskräfte aus dem Ausland rekrutieren und sie je nach Bedarf wieder vor die Tür setzen lassen.
ie Auswirkungen solcher Methoden kann man hautnah in der DDR studieren, wo die Rotation seit über zwanzig Jahren praktiziert wird. Rund 90.000 Vietnamesen, Mozambiquaner, Kubaner und Angolaner füllen zur Zeit die wachsenden Lücken auf dem DDR-Arbeitsmarkt - maximal vier oder fünf Jahre können sie bleiben.
Ausländische Werktätige, wie sie im mittlerweile antiquierten Jargon der Planwirtschaftler heißen, leben in Wohnghettos, in denen ihnen laut Vorschrift „mindestens fünf Quadratmeter zustehen“. Die Überwachung durch die eigene Botschaft ist rigide, Freizügigkeit existiert auch nach der Maueröffnung nicht, denn die Pässe wurden gleich nach der Ankunft in der DDR vom Botschaftspersonal eingezogen. In den Heimatländern sind die Arbeitsplätze in der DDR begehrt, weil der Monatslohn in Ost-Mark oft auch die Familie zu Hause ernährt. Doch was anfangs als eine Form sozialistischer Entwicklungshilfe verbrämt worden war, ist inzwischen zur puren Ausbeutung verkommen.
Überwiegend erfüllen die Vietnamesen, Mozambiquaner oder Kubaner die gleiche Funktion wie die AusländerInnen im Westen: sie verrichten in den Textil-, Reinigungs- oder Maschinenbaukombinaten die Dreckarbeit, für die sich kein Deutscher mehr abmühen will. Auch die Sündenbockrolle war schnell gefunden: Nicht die Schuld an etwaiger Arbeitslosigkeit wirft man ihnen im anderen Deutschland vor, sondern am Warenmangel. „Die kaufen uns alles weg“, lautet das gängigste Vorurteil gegen AusländerInnen in der DDR.
islang waren sie die Leidtragenden einer staatlich verordneten Schizophrenie, in der die SED einerseits Völkerverständigung und internationale Solidarität propagierte, andererseits die eigene Bevölkerung unter Quarantäne setzte. Ohne Ankündigung oder Vorbereitung wurden die „Brigaden“ der Vietnamesen oder Mozambiquaner in den VEBs eingesetzt; die Einheimischen wissen meist nichts über Lebensumstände und Kultur ihrer neuen Kollegen, die nach vier oder fünf Jahren ohnehin wieder verschwinden müssen.
Doch obwohl auch in der DDR Rassismus und Fremdenhaß nach dem 9. November unverhohlener gezeigt werden, befürchten ausländische Studenten wie Arbeiter nichts mehr, als nach Hause geschickt zu werden. „Die SED hat uns hierhergebracht“, sagte ein Hochschulabsolvent aus Guinea -Bissao auf einer Veranstaltung unter dem Motto Zukunft mit Ausländern? in Ost-Berlin. „Jetzt geht die SED, sollen wir jetzt auch gehen?“ Sollen sie nicht, wenn es nach den Parteien des runden Tischs geht, die sich an diesem Abend alle zu einer Zukunft mit Ausländern bekannten. „Wir werden die ausländischen Bürger wohl weiterhin als Berufstätige brauchen“, so der SPD-Vorsitzende Ibrahim Böhme, doch wie diese in einer marktwirtschaftlich orientierten DDR vor dem Mißbrauch als Billigarbeitskräfte geschützt werden sollen, wußte auf der Veranstaltung niemand zu sagen.
rotzdem herrscht jetzt Aufbruchstimmung unter den wachsenden Ausländergruppen in der DDR. Man hat immerhin eine eigene Kommission am runden Tisch durchgesetzt, die die Belange der AusländerInnen bei den geplanten Gesetzen vertreten will.
In der Bundesrepublik und West-Berlin erholt man sich dagegen erst langsam vom deutschnationalen Schock. Die verstärkte Forderung nach kommunalem Wahlrecht für AusländerInnen und doppelter Staatsbürgerschaft könnte politische Signale setzen, „doch wer will sowas im Moment schon hören“, fragt Lutz Fuchs-Jansen vom DGB. Auch beim rot -grünen Senat in Berlin, der sich einst eine fortschrittliche ImmigrantInnen- und Flüchtlingspolitik auf die Fahnen geschrieben hatte, herrscht in dieser Frage momentan Funkstille. Bessere Qualifizierungschancen für den kommenden Konkurrenzkampf fordert Necati Gürbaca, wohl wissend, daß nur ein Drittel aller ImmigrantInnen zwischen 15 und 18 Jahren eine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren. Ohne Selbstorganisierung der ImmigrantInnen sieht allerdings auch er keine Perspektive. „Die müssen sich irgendwie zusammentun.“ Sonst, befürchtet er, bleiben sie in der multikulturellen Hackordnung auf der Strecke.
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